Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
gewesen, ihren Befund jemandem mitzuteilen?«, hakte Henry nach. »Alles andere erscheint mir ... nun ja, gelinde gesagt, unverantwortlich ...«
»Natürlich mussten sie das jemandem mitteilen - Mrs Lightwoods Ehemann. Was die Brüder zweifellos auch getan haben, aber zu welchem Nutzen? Benedict wusste es vermutlich ohnehin längst«, erklärte Will. »Es bestand sicherlich keine Veranlassung, Gideon, Gabriel und Tatiana davon zu unterrichten; denn der Hautausschlag blüht auf, wenn man sich gerade erst infiziert hat, und die Kinder waren bereits zu alt, um sich im Mutterleib oder während der Geburt mit der Krankheit angesteckt zu haben. Die Brüder der Stille haben Benedict unter Garantie informiert, der daraufhin wahrscheinlich ›Wie schockierend!‹ gerufen und dann die ganze Angelegenheit unter den Teppich gekehrt hat. Schließlich kann man Tote nicht wegen unschicklicher Beziehungen mit Dämonen vor den Richter schleppen. Also hat man den Leichnam verbrannt und damit war der Fall erledigt.«
»Und wie kommt es dann, dass Benedict noch immer lebt?«, fragte Tessa drängend. »Hätte die Krankheit ihn nicht längst umbringen müssen?«
»Mortmain«, warf Sophie ein. »Mortmain hat ihm die ganze Zeit Drogen gegeben, um den Krankheitsverlauf zu verzögern.«
»Zu verzögern, aber nicht vollständig aufzuhalten?«, hakte Will nach.
»Nein, man kann die Krankheit wohl nicht aufhalten. Mr Lightwood ist noch immer dem Tode geweiht und der nähert sich mit immer schnelleren Schritten«, erläuterte Sophie. »Das ist auch der Grund, warum er so verzweifelt ist und alles tut, was Mortmain von ihm verlangt.«
»Dämonenpocken!«, flüsterte Will und schaute zu Charlotte. Trotz seiner offensichtlichen Schadenfreude blitzte in seinen blauen Augen ein Funken auf - ein Funken messerscharfer Intelligenz, wie bei einem Schachspieler, der seinen nächsten Zug genauestens auf mögliche Vor- oder Nachteile überprüft. »Wir müssen Benedict sofort kontaktieren«, sagte er. »Charlotte muss seine Eitelkeit geschickt ausnutzen. Er ist sich viel zu sicher, dass er die Leitung des Instituts erhalten wird. Charlotte muss ihm Folgendes weismachen: Obwohl der Konsul erst am Sonntag seinen offiziellen Beschluss fasst, sei ihr bewusst geworden, dass er, Benedict, als Sieger aus der Abstimmung hervorgehen würde und dass sie ihn gern privat treffen möchte, um vorher mit ihm Frieden zu schließen.«
»Benedict ist halsstarrig ...«, setzte Charlotte an.
»Ja, aber noch viel stolzer«, warf Jem ein. »Benedict hat das Institut schon immer an sich reißen wollen, doch er möchte dich auch gern demütigen, Charlotte. Um zu beweisen, dass eine Frau nicht fähig ist, ein Institut zu führen. Er ist zwar davon überzeugt, dass der Konsul dir am Sonntag die Leitung des Instituts abnehmen wird, aber das bedeutet nicht, dass er sich die Gelegenheit entgehen ließe, dich privat vor ihm zu Kreuze kriechen zu sehen.«
»Doch zu welchem Zweck?«, fragte Henry. »Was genau erreichen wir damit, Charlotte zu Benedict zu schicken?«
»Wir können ihn erpressen«, erklärte Will. Seine Augen leuchteten vor Aufregung und Begeisterung. »Möglicherweise kommen wir im Moment nicht an Mortmain heran, aber an Benedict auf jeden Fall - und das könnte vorerst genügen.«
»Du meinst also, dass er sich kommentarlos zurückziehen und jeden Versuch aufgeben wird, das Institut in seine Finger zu bekommen? Ließe das nicht einfach nur Spielraum für einen seiner Anhänger, der dann in seine Fußstapfen tritt?«, hakte Jem nach.
»Wir versuchen ja gar nicht, Benedict loszuwerden. Stattdessen wollen wir erreichen, dass er Charlotte seine volle Unterstützung anbietet. Er soll seine Kandidatur zurückziehen und öffentlich erklären, sie sei für die Leitung des Instituts hervorragend geeignet. Seine Anhänger werden sich keinen Rat wissen, der Konsul wird zufrieden sein und wir behalten das Institut. Und darüber hinaus können wir Benedict zwingen, uns alles zu verraten, was er über Mortmain weiß - sein Aufenthaltsort, seine Geheimnisse, einfach alles.«
Skeptisch schüttelte Tessa den Kopf. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass er Mortmain mehr fürchtet als uns, und außerdem braucht er das, was Mortmain ihm bieten kann. Denn sonst stirbt er.«
»Ja, er wird sterben. Aber das, was er getan hat - seine unschicklichen Beziehungen zu einem Dämon, die Infektion seiner Frau und seine Schuld an ihrem Tod -, gilt als vorsätzlicher Mord an einem anderen
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