Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
wollten.«
»Ich hätte dir vertrauen sollen ...«
»Und ich hätte nicht so wütend werden dürfen«, erwiderte Sophie. »Aber ehrlich gesagt, war ich mir selbst nicht sicher, wie Gideon reagieren würde. Erst als er mit Ihnen allen in der Kutsche vorfuhr, wusste ich, dass er letztendlich doch auf unserer Seite steht.«
»Es muss doch nett sein ... ich meine die Tatsache, dass er ab jetzt hier leben wird«, sagte Tessa und fummelte an ihrem Nachthemd. »Er wird ständig in deiner Nähe sein ...«
»Das ist das Schlimmste, was passieren konnte«, platzte Sophie heraus und Tränen schossen ihr in die Augen.
Tessa erstarrte und fragte sich entsetzt, was sie wohl Falsches gesagt haben mochte.
Die Tränen glitzerten in Sophies Augen und ließen diese grün schimmern. »Wenn er hier lebt, wird er mich als das sehen, was ich wirklich bin: ein Dienstmädchen«, erklärte sie mit brechender Stimme. »Ich weiß, ich hätte einem Treffen mit ihm niemals zustimmen dürfen. Mrs Branwell ist zwar nicht die Sorte von Mensch, die ihre Dienstboten dafür bestraft, dass sie einen Verehrer haben, aber ich wusste, dass es ohnehin nicht richtig war, denn er ist er und ich bin ich und wir gehören nicht zusammen.« Rasch wischte sie sich die Augen, doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Ich könnte alles verlieren, wenn ich mich darauf einlasse ... Und was hat er schon zu verlieren? Nichts.«
»So ist Gideon nicht.«
»Er ist seines Vaters Sohn«, erwiderte Sophie. »Und wer sagt, dass das keine Rolle spielen würde? Es ist zwar nicht so, als ob er vorgehabt hätte, eine Irdische zu heiraten, aber mich nun auf diese Weise zu sehen ... wenn ich das Feuer in seinem Zimmer anzünde, das Geschirr abtrage und den Abwasch mache ...«
»Wenn er dich liebt, wird ihm das nichts ausmachen.«
»Doch, es macht immer etwas aus. Die Menschen sind nicht so edelmütig, wie Sie glauben.«
Tessa musste an Will denken, wie er das Gesicht in den Händen verborgen und sie gebeten hatte: Wenn du ihn liebst, dann sag ihm bitte nicht, was ich dir gerade gesagt habe. »Manchmal findet man Edelmut dort, wo man es nie erwartet hätte, Sophie. Und außerdem, möchtest du wirklich gern eine Nephilim sein? Würdest du nicht lieber ...«
»Aber genau das möchte ich«, unterbrach Sophie sie. »Mehr als alles andere auf der Welt. Es war schon immer mein sehnlichster Wunsch.«
»Das wusste ich ja gar nicht«, sagte Tessa erstaunt.
»Ich hab immer gedacht, wenn ich den jungen Herrn Jem heiraten würde ...« Sophie zupfte an Tessas Bettdecke, schaute dann auf und lächelte matt. »Sie haben ihm doch noch nicht das Herz gebrochen, oder?«
»Nein«, sagte Tessa, »ich hab ihm überhaupt nicht das Herz gebrochen.« Nur mein eigenes entzweigerissen.
21
Ihre Glut ist feurig
Oh Bruder, die Götter waren dir gut,
Schlafe, fahrwohl, laß die Welt sich drehn,
Sei gestillt in dir, schlafe wohlgemut
Und dank dem Leben für Lieb und Lehn
Und dank deinen Göttern für Liebe und Tod,
Für den letzten Gruß, den die Liebe dir bot,
Sie wird dich hegen in sanfter Hut,
Mit Tränen und Küssen, und mit dir gehen.
ALGERNON CHARLES SWINBURNE,
»DER TRIUMPH DER ZEIT«
[29]
Musik drang aus Jems Kammer, die Tür stand einen Spalt offen. Will lehnte mit der Schulter an der Flurwand, eine Hand auf dem Türknauf. Er fühlte sich unendlich müde, erschöpfter als je zuvor in seinem Leben. Seit er das Haus am Cheyne Walk verlassen hatte, war er von einer drängenden, brennenden Energie erfüllt gewesen, doch die war nun dahingeschwunden und hatte nichts als Leere und Dunkelheit zurückgelassen.
Er hatte auf Tessa gewartet, hatte gehofft, sie würde ihm nachlaufen, ihm nachrufen, als er die Tür des Salons hinter sich zuschlug, doch sie war nicht gekommen. Vor seinem inneren Auge konnte er sie sehen - wie sie ihn anschaute mit diesen Augen, die ihn an mächtige graue Sturmwolken erinnerten.
Jem hat um meine Hand angehalten. Und ich habe Ja gesagt.
Liebst du ihn?
Ja, ich liebe ihn.
Und dennoch stand er nun hier, vor Jems Tür. Will wusste nicht, ob er hergekommen war, weil er versuchen wollte, Jem die Verlobung mit Tessa auszureden - falls so etwas überhaupt möglich war -, oder aus dem viel wahrscheinlicheren Grund, dass er seit jeher diesen Weg genommen hatte, wenn er Trost suchte: eine Gewohnheit, die sich nach so vielen Jahren nicht einfach ablegen ließ.
Langsam drückte er die Tür auf. Elbenlicht strömte in den Korridor und
Weitere Kostenlose Bücher