Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
sehr er sie auch liebte. Denn wie konnte er seine Liebe vor Jem zur Schau stellen, wenn er doch wusste, dass sein Glück zu Lasten seines besten Freundes ging, mit dessen Schmerz erkauft war? Selbst wenn Will sich einredete, dass er damit schon klarkäme, würde sie für ihn immer das Mädchen sein, das Jem liebte - und zwar bis zu Jems Tod. Bis zu ihrem eigenen Tod. Denn Will würde Jem nicht betrügen, nicht einmal nach dem Tod. Wenn es doch nur um jemand anderen ginge, irgendjemand anderen ... aber sie liebte nun einmal nicht irgendjemand anderen. Diese beiden Freunde waren diejenigen, die sie liebte. In Freud und Leid. In guten wie in schlechten Tagen.
Zitternd holte Tessa Luft und zwang sich, ihre Stimme möglichst kalt klingen zu lassen. Und ruhig. »Wenn wir ihm was sagen würden?«
Will schaute sie nur stumm an. Das Licht, das in seinen Augen geleuchtet hatte - auf der Treppe, beim Verriegeln der Tür und bei seinem Kuss -, dieses strahlende, glückliche Licht schwand nun dahin wie der letzte Atemhauch eines Sterbenden.
Tessa dachte an Nate zurück, der in ihren Armen verblutet war. In dem Moment hatte sie sich vollkommen ohnmächtig gefühlt, unfähig, ihm zu helfen. Genau wie jetzt. Sie hatte das Gefühl, als würde sie zusehen, wie sämtliches Leben aus Will Herondale wich - und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte.
»Jem würde mir verzeihen«, murmelte Will, doch schon jetzt sprach Hoffnungslosigkeit aus seiner Stimme und seinem Gesicht. Er hat aufgegeben, dachte Tessa, Will, der niemals aufgab, der keinen Kampf aufgab, ehe dieser überhaupt begonnen hatte. »Jem würde ...«
»Ja, er würde dir verzeihen«, sagte Tessa. »Jem könnte dir nicht lange böse sein, Will; dafür liebt er dich viel zu sehr. Und ich glaube auch noch nicht einmal, dass er auf mich böse wäre. Aber heute Morgen hat er mir erzählt, dass er dachte, er müsse sterben, ohne jemals die Liebe empfinden zu können, die sein Vater für seine Mutter empfunden hatte. Ohne jemals auf diese Weise wiedergeliebt zu werden. Möchtest du wirklich, dass ich zu ihm gehe, an seine Tür klopfe und ihm das nehme? Und würdest du mich auch noch lieben, wenn ich das täte?«
Will schaute sie lange schweigend an. Und dann schien er innerlich zusammenzubrechen, geknickt wie Papier. Er sank in einen Sessel und vergrub das Gesicht in den Händen. »Versprich mir ...«, setzte er an. »Versprich mir, dass du ihn liebst. Dass du ihn genügend liebst, um ihn zu heiraten und ihn glücklich zu machen.«
»Ja«, sagte Tessa.
»In dem Fall ... wenn du ihn liebst ... dann sag ihm bitte nicht, was ich dir gerade gesagt habe«, bat Will leise. »Bitte sag ihm nicht, dass ich dich liebe.«
»Und der Fluch? Er weiß nichts davon ...«
»Bitte erzähl ihm auch nichts von dem Fluch. Weder Jem noch Henry oder Charlotte - niemandem. Ich muss es ihnen mitteilen, wenn ich sicher bin, dass der richtige Moment dafür gekommen ist. Tu einfach so, als hätte ich nichts gesagt. Wenn dir auch nur ein bisschen an mir liegt, Tessa ...«
»Ich werde niemandem davon erzählen«, versicherte Tessa hastig. »Das verspreche ich. Ich schwöre es bei meinem Klockwerk-Engel, beim Engel meiner Mutter. Und, Will ...«
Langsam ließ Will die Hände sinken, aber er schien Tessa noch immer nicht ansehen zu können. Seine Hände schlossen sich um die Sessellehnen und umklammerten sie, bis seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Ich glaube, du solltest jetzt besser gehen, Tessa.«
Aber das konnte Tessa nicht. Sie konnte ihn nicht allein lassen, solange er so aussah, als würde er innerlich sterben. Am liebsten wäre sie zu ihm gelaufen, hätte die Arme um ihn geschlungen, ihn auf die Augenlider geküsst und versucht, ihn wieder zum Lächeln zu bringen. Stattdessen sagte sie nur: »Was du seit deinem zwölften Lebensjahr erdulden musstest, hätte die meisten anderen Menschen umgebracht. Du hast immer geglaubt, dass niemand dich lieben würde, dass niemand dich lieben könnte - denn die Tatsache, dass diejenigen noch lebten, war dir Beweis genug. Aber Charlotte liebt dich. Und Henry. Und Jem. Und deine Familie. Sie haben dich die ganze Zeit geliebt, Will Herondale, denn sosehr du es auch versuchen magst: Du kannst nicht verbergen, welch guter Kern in dir steckt.«
Langsam hob Will den Kopf und schaute Tessa an. Sie konnte die Reflexion der flackernden Flammen in seinen Augen sehen. »Und du? Liebst du mich?«
Tessa ballte die Hände, bis sich die Fingernägel in ihre
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