Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
...«
»Oh, Gott, hat sie sich bereits auf den Weg gemacht? Wir werden Charlotte wecken müssen. Ich sehe keine andere Möglichkeit ...«
»Miss Jessamine ist noch nicht aufgebrochen. Sie befindet sich auf ihrem Zimmer«, unterbrach Sophie sie.
»Dann weiß sie also nicht, dass du das hier gefunden hast?«, fragte Tessa und wedelte mit der Einladung.
Sophie schluckte sichtbar. »Ich ... sie hat mich mit dem Umschlag in der Hand erwischt, Miss. Ich habe noch versucht, ihn zu verstecken, aber sie hatte ihn bereits erspäht. Als sie daraufhin auf mich zukam, um mir die Einladung abzunehmen, hatte sie einen solch bösen Ausdruck auf dem Gesicht, dass ich einfach nicht anders konnte ... All die Übungsstunden mit dem jungen Mr Lightwood, da konnte ich gar nicht anders und dann ... nun ja ...«
»Und was dann? Sophie ...«
»Ich habe mich gewehrt und sie mit dem Frisierspiegel am Kopf getroffen«, räumte Sophie niedergeschlagen ein. »Einer dieser silberbeschlagenen Handspiegel, die ziemlich schwer sind. Sie fiel um wie ein gefällter Baum. Also hab ich ... sie ans Bett gefesselt und mich dann auf die Suche nach Ihnen gemacht, Miss.«
Einen Moment lang schaute Tessa das Dienstmädchen sprachlos an. Dann meinte sie: »Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe: Jessamine hat dich mit der Einladung in der Hand entdeckt und deshalb hast du ihr einen Spiegel über den Kopf gezogen und sie anschließend ans Bett gefesselt?«
Sophie nickte.
»Gütiger Gott«, murmelte Tessa. »Sophie, wir werden jemanden zu Hilfe holen müssen. Dieser Ball darf kein Geheimnis bleiben und Jessamine ...«
»Bitte nicht Mrs Branwell«, jammerte Sophie. »Sie wird mich sofort entlassen. Ihr bleibt gar keine andere Wahl.«
»Dann Jem ...«
»Nein!« Bestürzt griff Sophie sich an den Kragen, wo die Blutspritzer noch immer feucht schimmerten. Jessamines Blut, wurde Tessa mit einem Schlag klar. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn er wüsste, dass ich zu etwas Derartigem fähig bin. Er ist immer so sanft. Bitte zwingen Sie mich nicht, es ihm zu sagen, Miss.«
Natürlich, dachte Tessa, Sophie liebt Jem. Nach all dem Durcheinander der vergangenen Tage hatte sie das beinahe völlig vergessen. Ein heißes Schamgefühl erfasste sie bei der Erinnerung an die Nacht zuvor, doch dann schob sie den Gedanken energisch zur Seite und meinte resolut: »In diesem Fall bleibt nur ein Mensch übrig, an den wir uns wenden können, Sophie. Das ist dir doch wohl bewusst?«
»Der junge Mr Herondale«, erwiderte Sophie gequält und seufzte dann. »Sehr wohl, wie Sie wünschen, Miss. Ich schätze, es ist mir egal, was er von mir hält.«
Entschlossen stand Tessa auf, nahm ihren Morgenmantel und streifte ihn über. »Betrachte es einmal von der positiven Seite, Sophie: Will wird wenigstens nicht schockiert sein. Denn ich bezweifle, dass Jessamine das erste ohnmächtige weibliche Wesen ist, um das er sich kümmern muss - und wahrscheinlich wird sie auch nicht das letzte bleiben.«
Doch in einem Punkt sollte Tessa sich täuschen: Will war durchaus geschockt.
»Sophie hat das getan?«, fragte er verwundert - und nicht zum ersten Mai, während sie am Fuß von Jessamines Bett standen. Die junge Schattenjägerin lag ausgestreckt auf der Decke; ihre Brust hob und senkte sich langsam, wie bei der berühmten schlafenden Gestalt der Comtesse du Barry in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. Ihre blonden Haare waren auf dem Kissen ausgebreitet und über ihre Stirn verlief eine breite blutige Schramme. Beide Handgelenke waren an die Pfosten des Bettgestells gebunden. » Unsere Sophie?«, wiederholte er ungläubig.
Tessa warf einen raschen Blick auf das Dienstmädchen, das auf einem Stuhl neben der Tür saß. Sophie hatte den Kopf gesenkt, starrte auf ihre Hände und vermied sorgsam jeden Blickkontakt zu Tessa oder Will. »Ja«, bestätigte Tessa, »und du brauchst es nicht ständig zu wiederholen.«
»Ich glaube, ich entdecke gerade meine Liebe zu dir, Sophie«, flötete Will. »Spätere Heirat nicht ausgeschlossen.«
Sophie wimmerte unwillkürlich.
»Lass das, Will«, zischte Tessa. »Du verängstigst das arme Mädchen nur noch mehr.«
»Wovor sollte sie denn Angst haben? Vor Jessamine? Allem Anschein nach hat Sophie diese kleine Auseinandersetzung mühelos für sich entschieden.« Will musste sich anstrengen, um nicht breit zu grinsen. »Sophie, meine Liebe, du hast nichts zu befürchten. Ich habe selbst so manches Mal den Wunsch verspürt, Jessamine eins
Weitere Kostenlose Bücher