Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
ich bin mir sicher, dass er auch zum Institut zurückkommen wird. Schließlich weiß er, dass du Starkweathers Knopf eingesteckt hast, Tessa. Er wird wissen wollen, was der alte Mann weiß.«
»Herzlich wenig, um ehrlich zu sein«, sagte Tessa. Sie verspürte noch immer ein vages Schuldgefühl, weil sie Starkweathers Gedächtnis nicht mehr nützliche Informationen hatte entlocken können. Natürlich hatte sie zu erklären versucht, wie es sich anfühlte, den Verstand eines Menschen zu durchforsten, der allmählich senil wurde, aber es war ihr schwergefallen, die richtigen Worte zu finden. Und der enttäuschte Ausdruck auf Charlottes Gesicht, als Tessa ihr erklärte, sie habe nichts Brauchbares über Ravenscar Manor entdecken können, stand ihr noch immer deutlich vor Augen. Selbstverständlich hatte sie ihnen von sämtlichen Erinnerungen berichtet, die Starkweather noch an die Familie Shade besaß. Und falls der Tod des Hexenwesen-Paars den Anstoß zu Mortmains Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung gegeben hatte, mussten sie in der Tat mit einem brennenden Verlangen nach Vergeltung rechnen. Dagegen hatte Tessa den Schock, den Starkweather bei ihrem Anblick empfunden hatte, für sich behalten - das Ganze verwunderte sie noch immer und erschien ihr irgendwie zu persönlich.
»Was wäre, wenn Will beschließt, die Reihen der Nephilim für immer zu verlassen?«, fragte sie nun. »Würde er zu seiner Familie zurückkehren, um sie zu beschützen?«
»Nein«, erwiderte Charlotte äußerst knapp. »Nein, ich glaube nicht, dass er das tun wird.«
Will würde mir fehlen, falls er fortginge, dachte Tessa überrascht. Er war immer so unwirsch - und häufig auch gegenüber Charlotte -, dass Tessa manchmal vergaß, welch störrische Zuneigung die junge Institutsleiterin allen entgegenzubringen schien, die ihrer Obhut anvertraut waren. »Aber wenn Wills Familie doch in Gefahr schwebt ...«, setzte Tessa zu einem Protest an, verstummte jedoch, als Sophie den Raum mit einer Kanne heißem Wasser betrat und diese auf den Tisch stellte.
Beim Anblick des Dienstmädchens hellte sich Charlottes Miene sichtlich auf. »Tessa, Sophie, Jessamine - vergesst bitte nicht, dass ihr heute Vormittag wieder Kampfunterricht bei Gabriel und Gideon Lightwood habt.«
»Ich kann nicht daran teilnehmen«, erwiderte Jessamine wie aus der Pistole geschossen.
»Warum denn nicht? Ich dachte, du hättest dich von deinen Kopfschmerzen erholt ...«
»Ja, schon, aber wir möchten schließlich nicht, dass sie zurückkehren, nicht wahr?« Hastig erhob Jessamine sich von ihrem Stuhl. »Ich würde es vorziehen, dir behilflich zu sein, Charlotte.«
»Ich brauche deine Hilfe nicht, wenn ich den Brief an Ragnor Fell aufsetze, Jessie. Mir wäre es viel lieber, wenn du von dem angebotenen Training Gebrauch machen würdest ...«
»Aber in der Bibliothek stapeln sich die Antworten von Schattenweltlern, die wir zu Mortmains möglichem Verbleib befragt haben«, hielt Jessamine entgegen. »Ich könnte dir dabei helfen, sie zu sichten.«
Charlotte seufzte. »Na schön.« Dann wandte sie sich an Tessa und Sophie: »In der Zwischenzeit werdet ihr den Lightwood-Brüdern bitte nichts von unseren Nachforschungen in Yorkshire und Wills Verschwinden erzählen, ja? Mir ist die Anwesenheit der beiden im Institut momentan auch nicht sehr recht, aber es lässt sich nun mal nicht ändern. Die Tatsache, dass wir das Training fortsetzen, soll nach außen hin dokumentieren, dass alles in bester Ordnung ist. Und auch euer Verhalten muss das widerspiegeln. Seid ihr dazu in der Lage?«
»Selbstverständlich, Mrs Branwell«, bestätigte Sophie umgehend. Ihre Augen leuchteten und sie lächelte strahlend.
Tessa seufzte innerlich; sie war sich nicht sicher, was sie von der ganzen Sache halten sollte. Sophie verehrte Charlotte und würde alles tun, um sie zufriedenzustellen. Außerdem verabscheute sie Will und würde sich über seine Abwesenheit wohl kaum Sorgen machen. Rasch schaute Tessa quer über den Tisch zu Jem hinüber. Sie verspürte ein seltsam hohles Gefühl im Magen, eine nagende Unruhe, weil sie nicht wusste, wo Will war; und sie fragte sich, ob es Jem wohl ähnlich erging. Sein sonst so ausdrucksstarkes Gesicht wirkte reglos und unergründlich, obwohl er ihr ein sanftes, ermutigendes Lächeln schenkte, als er ihren Blick auffing. Jem war Wills Parabatai, sein Blutsbruder - wenn wirklich Grund zur Sorge um Wills Wohlergehen bestand, würde er das doch sicherlich
Weitere Kostenlose Bücher