Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
geöffneten Umzugskisten waren hinter der Tür in die Höhe gestapelt worden. Sydney stellte sich an diesem Tag der großen Herausforderung, all diese Kisten zu öffnen und den Inhalt an den jeweils vorgesehenen Platz zu befördern. Die Gegenstände, die sie nicht mehr benötigte, würden einfach im Müll landen.
„Na los, dann fangen wir mal an!“, sagte sie leise zu sich und nahm sich den ersten Karton vor. Mit einer geschickten Handbewegung zog sie das Klebeband von der Oberfläche ab und klappte die Seiten auseinander.
„Sportklamotten. Na, ihr habt mir ja gar nicht gefehlt!“ Sydney entleerte die Kiste und verpackte die Hosen und T-Shirts in der untersten Schublade ihrer Kommode.
Die nächste Kiste war an der Reihe.
Ein paar ältere und schon verloren gehoffte Schulbücher aus der Unterstufe sowie eine Sammlung von Märchenbüchern, aus denen Jack ihr oft vor dem Einschlafen vorgelesen hatte, lagen ganz oben in der Kiste. Sydney nahm sie alle mit einem Griff heraus und platzierte sie in die noch freien Stellen des Hängeregals.
Als sie erneut in den Karton hineingreifen wollte, zögerte sie kurz und hielt inne. Sie erkannte das kleine Kästchen, in dem sie Gegenstände aufbewahrte, die ihr als letzte Erinnerung an ihre verstorbene Mutter übrig geblieben waren.
Sie nahm es langsam und mit großer Sorgfalt heraus und streichelte mit der Handfläche den Staub ab, der sich an der Oberfläche abgesetzt hatte. Das Geschehen um sie herum wurde plötzlich unwichtig für Sie – die schwache Erinnerung war wieder da.
Keine konkrete Erinnerung an ihre Mutter, denn sie kannte sie ja gar nicht, sondern die Erinnerung an das, was ihr Jack des Öfteren von ihr erzählt hatte.
Sydney ließ die anderen Kartons unbeachtet stehen, setzte sich aufs Bett und legte das Kästchen neben sich. Ein winziger Hakenverschluss hielt den Deckel geschlossen. Es war Monate her, seit sie das Kästchen das letzte Mal geöffnet hatte.
Es war nun wieder an der Zeit. Sie schob den Haken zur Seite und hob den Deckel an.
Das Kästchen enthielt mehrere Fotos, auf denen ihre Mutter sowohl alleine als auch zusammen mit ihrem Vater abgelichtet war. Auch zwei Hochzeitsfotos ihrer Eltern lagen dabei.
Wie so oft bewunderte Sydney die Schönheit ihrer Mutter.
„Du und Daddy wart ein tolles und ein süßes Pärchen“, kam es traurig aus Sydneys Mund.
Sie streichelte das Gesicht ihrer Mutter mit dem Daumen und legte den gesamten Stapel zur Seite.
Unter den Fotos lag ein zusammengerolltes Stück Stoff. Sydney nahm es behutsam heraus, und ein Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. „Da bist du ja; dich habe ich ja fast vergessen“, sagte sie und griff in das Kästchen. Es war ein Ring ihrer Mutter, ein Erbstück der Familie, falls ihr Vater es richtig wiedergegeben hatte. Ihre Mutter hatte den Ring von ihrer Mutter erhalten, die Sydney ebenfalls nie gekannt hatte. Und Sydneys Großmutter hatte den Ring wiederum ihrerseits von ihrer Mutter geerbt. Das Geheimnis, seit welcher Generation sich das Erbstück schon in ihrer Familie befand, konnte keiner lüften.
Als kleines Mädchen hatte Sydney des Öfteren den Versuch unternommen, diesen Schmuck zu tragen, doch leider ohne Erfolg. Der Ring wollte nicht und glitt ständig von ihren zierlichen Fingern ab.
„Ob er mir jetzt passt?“, dachte Sydney und betrachtete den Ring. Sie nahm ihn zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand und steckte ihn auf den Mittelfinger der rechten. Das Gefühl kannte sie allzu gut: Der Ring war zu groß. Nicht so groß wie früher, dennoch hatte er keinen festen Halt, glitt langsam wieder vom Finger herab und landete auf dem Bettlaken. „Manno, nicht schon wieder!“ Ein enttäuschter Seufzer verließ ihren Mund.
Sie nahm den Ring erneut in die linke Hand und versuchte, ihn diesmal auf den Zeigefinger zu schieben.
Ihr Mund formte ein Lächeln. Er passte. Endlich.
Sydney prüfte noch einmal, ob das Schmuckstück auch den nötigen Halt hatte. Diesmal blieb der Ring am Finger und rutschte nicht ab. Sie streckte ihre Hand vor sich hin und betrachtete ihren neuen Schmuck. Es stand ihr wirklich ausgesprochen gut.
Auf der glatten Oberfläche des Ringes befanden sich Wörter, Sätze oder einfach nur ein Buchstabensalat aus unbekannten Zeichen. Was diese Botschaft wirklich vermitteln wollte, wusste keiner, weder sie noch ihr Daddy. Und soweit sie sich an die Erzählungen ihres Vaters erinnern konnte, wusste auch ihre verstorbene Mutter nicht, was diese
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