Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
dass Jace direkt hinter ihr stand, konnte seinen keuchenden Atem hören. Sie fragte sich, ob er sich das Hirn zermarterte, warum er sich von ihr hatte überreden lassen, überhaupt hierherzukommen. Sie fragte sich, ob er sie wohl allmählich zu hassen begann.
»Meinst du diese Ratte?«
Clary blinzelte. Ein weiterer Vampir, ein dünner schwarzer Junge mit Dreadlocks, schob sich nach vorne. Er hielt etwas zwischen den Fingern, etwas Braunes, das sich nur schwach bewegte. »Simon?«, flüsterte sie.
Die Ratte fiepste und zappelte wie wild in den Händen des Jungen. Mit einem angewiderten Ausdruck in den Augen blickte er auf das gefangene Nagetier herab. »Mann, ich dachte, das wär Zeke. Ich hab mich schon gewundert, warum er sich so anstellt.« Er schüttelte den Kopf und seine Dreadlocks wippten auf und ab. »Von mir aus kann sie ihn haben. Der hat mich sowieso schon fünf Mal gebissen.«
Clary streckte eine Hand nach Simon aus; sie sehnte sich danach, ihn zu berühren. Doch Lily stellte sich dazwischen, ehe Clary den Jungen mit den Dreadlocks erreichte. »Moment«, meinte sie. »Woher wissen wir, dass ihr euch nicht einfach die Ratte schnappt und Raphael trotzdem tötet?«
»Wir geben euch unser Wort«, erwiderte Clary wie aus der Pistole geschossen, erstarrte aber im nächsten Moment und wartete darauf, dass die Vampire in Gelächter ausbrechen würden.
Doch niemand lachte. Raphael fluchte leise auf Spanisch. Und Lily warf Jace einen neugierigen Blick zu.
»Clary«, murmelte er. In seiner Stimme schwang eine Mischung aus Ärger und Verzweiflung mit. »Ist das wirklich …«
»Kein Eid, kein Deal«, sagte Lily sofort, da sie seine Unsicherheit spürte. »Elliott, halt die Ratte fest.«
Der Junge mit den Dreadlocks verstärkte seinen Griff um Simon, der seine Zähne tief in Elliotts Finger schlug. »Mann«, stieß der Junge missgelaunt hervor. »Das tut echt weh.«
Clary nutzte die Gelegenheit, Jace etwas zuzuflüstern: »Leiste doch einfach diesen Eid! Wo liegt das Problem?«
»Ein Schwur ist für uns nicht das Gleiche wie für euch Irdische«, fuhr er sie wütend an. »Ich werde an jeden Eid, den ich ablege, bis in alle Ewigkeit gebunden sein.«
»Na und? Was passiert, wenn du ihn brechen würdest?«
»Ich würde ihn aber nicht brechen. Genau darum geht es ja …«
»Lily hat recht«, mischte Jacob sich ein. »Ohne Eid läuft nichts. Schwöre, dass du Raphael nicht verletzen wirst. Selbst wenn wir euch die Ratte zurückgeben.«
»Ich werde Raphael nicht verletzen«, erwiderte Clary sofort. »Unter keinen Umständen.«
Lily schenkte Clary ein nachsichtiges Lächeln. »Wegen dir machen wir uns keine Sorgen.« Sie warf Jace einen scharfen Blick zu, der Raphael derart festhielt, dass seine Knöchel weiß hervorstachen. Ein dunkler Schweißfleck zeichnete sich auf seinem Hemd ab, genau zwischen den Schulterblättern.
»Also gut, ich werde schwören«, sagte er schließlich.
»Sprich den Eid«, entgegnete Lily prompt. »Schwöre beim Erzengel. Sag die ganze Formel.«
Jace schüttelte den Kopf. »Ihr zuerst.«
Seine Worte durchbrachen die Stille wie Steine, schickten eine Woge erregten Gemurmels durch die Menge. Jacob zog ein bedenkliches Gesicht, während Lilys Augen vor Wut funkelten. »Kommt nicht infrage, Schattenjäger.«
»Wir haben euren Anführer.« Die Spitze von Jace’ Messer grub sich tiefer in Raphaels Kehle. »Und was habt ihr? Eine Ratte.«
Simon, der in Elliotts Händen gefangen saß, quiekte empört. Am liebsten hätte Clary sich ihn einfach geschnappt, doch sie hielt sich zurück. »Jace …«
Uly sah Raphael an. »Gebieter?«
Raphael hatte den Kopf gesenkt; seine dunklen Locken verdeckten sein Gesicht. Blut verfärbte den Kragen seines Hemdes, rann als dünnes Rinnsal über seine nackte braune Haut. »Eine ziemlich wichtige Ratte«, sagte er, »sonst wärt ihr wohl kaum den ganzen Weg hierhergekommen. Ich denke, dass du, Schattenjäger, als Erster den Eid sprichst.«
Unwillkürlich verstärkte Jace seinen Griff um Raphael. Clary sah, wie sich seine Muskeln anspannten, sah seine weißen Fingerknöchel und die zusammengepressten Lippen, als er seinen Zorn zu unterdrücken versuchte. »Die Ratte ist ein Irdischer«, erwiderte er in scharfem Ton. »Wenn ihr ihn tötet, müsst ihr euch vor dem Gesetz verantworten …«
»Er befindet sich auf unserem Territorium. Eindringlinge werden nicht durch das Bündnis geschützt, das weißt du genau …«
» Ihr habt ihn doch hierher
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