Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
lang musterte der Junge sie mit ausdruckslosem Gesicht, doch dann schlich sich ein amüsiertes Funkeln in seine goldenen Augen. In dieser Sekunde sah er Daniel so ähnlich, dass Maia am liebsten zurückgewichen wäre.
Pete schob ein weiteres Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit über die Theke, ehe der Junge antworten konnte. »Hier ist dein Drink«, sagte er und sah dann zu Maia, die glaubte, so etwas wie eine Ermahnung in seinem Blick zu erkennen.
»Pete …«, setzte sie an, konnte ihren Satz aber nicht beenden. Denn im selben Moment flog die Tür der Bar auf und Bat erschien im Türrahmen. Maia brauchte einen Augenblick, bis sie erkannte, dass seine Hemdbrust und seine Ärmel mit Blut getränkt waren.
Rasch rutschte sie von ihrem Hocker und lief auf ihn zu. »Bat! Bist du verletzt?«
Sein Gesicht war aschgrau und die silberne Narbe ragte wie ein Stück Stacheldraht aus seiner Wange heraus. »Ein Überfall«, stieß er hervor. »In der Gasse ist ein Leichnam. Ein totes Kind. Blut … alles ist voll Blut.« Er schüttelte den Kopf und sah an sich hinab. »Nicht mein Blut. Mir geht’s gut.«
»Ein Leichnam? Aber wer …«
Bats Antwort ging in der ausbrechenden Aufregung unter. Hocker und Stühle fielen um, als das Rudel zur Tür stürzte. Pete kam hinter seiner Theke hervor und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Nur der Schattenjäger blieb reglos sitzen, den Kopf über sein Glas gebeugt.
Durch mehrere Lücken in der Menge, die sich um die Tür versammelt hatte, konnte Maia einen kurzen Blick auf die grauen Pflastersteine in der Gasse werfen, die mit Blut bespritzt waren. Das Blut war noch feucht und verteilte sich in den Spalten zwischen den Steinplatten wie die Ranken einer roten Pflanze.
»Ihm wurde die Kehle aufgeschlitzt?«, wandte Pete sich an Bat, dessen Gesicht wieder etwas Farbe angenommen hatte. »Wie …«
»Da war jemand in der Gasse. Jemand, der sich über ihn gebeugt hat«, sagte Bat. Seine Stimme klang angespannt. »Keine menschliche Gestalt – eher ein Schatten. Als er mich gesehen hat, ist er abgehauen. Der Junge war noch am Leben. So gerade eben. Ich hab mich über ihn gebeugt, aber …« Bat zuckte scheinbar beiläufig die Achseln, aber die Stränge seiner Halsmuskulatur ragten deutlich hervor wie dicke Wurzeln, die sich um einen Baumstamm winden. »Er starb ohne ein weiteres Wort.«
»Vampire«, sagte eine dralle Lykanthrope namens Amabel, die an der Tür stand. »Die Kinder der Nacht. Es kann niemand anderes gewesen sein.«
Bat warf ihr einen Blick zu, drehte sich dann um und marschierte zur Theke. Er streckte die Hand aus, um den Schattenjäger am Rücken seines Mantels zu packen, griff aber ins Leere, da der Junge längst zur Seite gesprungen war und sich ihm mit einer geschmeidigen Bewegung zugewandt hatte. »Was hast du für ein Problem, Werwolf?«
Bats Hand schwebte noch immer in der Luft. »Bist du taub, Nephilim?«, fauchte er. »Da draußen liegt ein toter Junge. Einer von uns.«
»Meinst du ein Lykanthrop oder irgendeine andere Art von Schattenwesen?« Der Junge zog spöttisch eine Augenbraue hoch. »Für mich seht ihr nämlich alle gleich aus.«
Ein tiefes Knurren ertönte – es kam von Freaky Pete, wie Maia überrascht feststellte. Er war in die Bar zurückgekehrt und stand nun in der Mitte des Raums, umgeben von den anderen Rudelmitgliedern, die den Schattenjäger fixierten. »Das war noch ein Kind«, sagte Pete. »Er hieß Joseph.« Der Name sagte Maia nichts, aber sie sah Petes fest zusammengepresste Kiefer und spürte eine aufgeregte Unruhe im Bauch. Das Rudel befand sich nun auf dem Kriegspfad, und wenn der Schattenjäger auch nur ein bisschen Verstand besaß, musste er jetzt sofort einen Rückzieher machen, dachte Maia. Doch das tat er nicht. Er stand einfach da und musterte sie aus seinen goldenen Augen, ein belustigtes Lächeln um die Lippen.
»Ein Lykanthropen-Junge?«, fragte er.
»Er gehörte zu unserem Rudel«, sagte Pete. »Er war gerade mal fünfzehn.«
»Und was genau erwartest du nun von mir? Was soll ich deiner Ansicht nach in dieser Angelegenheit unternehmen?«, erwiderte der Junge.
Pete starrte ihn ungläubig an. »Du bist ein Nephilim«, sagte er. »Der Rat ist es uns schuldig, für unsere Sicherheit zu sorgen.«
Der Junge sah sich in der Bar um … langsam und mit einem solch anmaßenden Blick, dass sich in Petes Gesicht Zornesröte ausbreitete.
»Ich sehe nichts, wovor man euch hier beschützen müsste«, sagte der Schattenjäger.
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