Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
die Lippe. Clary sah, dass ihre Handgelenke blutig waren und Tränen salzige Spuren auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten. »Clary, es tut mir so leid«, sagte sie mit leiser, heiserer Stimme. »Simon ist tot.«
Völlig durchnässt und halb erfroren ließ Jace sich auf das Schiffsdeck fallen. Eisiges Wasser strömte ihm aus Haaren und Kleidern. Er schnappte keuchend nach Luft und schaute zum bewölkten Nachthimmel hinauf. Es war nicht einfach gewesen, die wackelige, nur dürftig mit der Schiffswand verschraubte Eisenleiter zu erklimmen – schon gar nicht mit rutschigen Händen und durchnässter Kleidung, die ihn nach unten zog.
Ohne die Rune der Furchtlosigkeit, überlegte er, hätte er sich bestimmt Sorgen gemacht, dass ihn einer der Flugdämonen von der Leiter klaubte wie ein Vogel, der einen Käfer von einem Zweig pickt. Doch glücklicherweise waren die Dämonen offenbar alle zum Schiff zurückgekehrt, nachdem einer von ihnen Clary gepackt hatte. Jace konnte sich nicht vorstellen, was Valentin mit Clary wollte, aber er hatte den Versuch, seinen Vater zu verstehen, lange aufgegeben.
Plötzlich tauchte über ihm ein Kopf auf, dessen Silhouette sich gegen den Himmel abhob. Es war Luke, der das obere Ende der Leiter erreicht hatte. Mühsam kletterte er über die Reling und ließ sich auf die andere Seite fallen. Er stützte sich auf einen Ellbogen und schaute auf Jace hinab. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht’s gut.« Fröstelnd rappelte Jace sich auf. Auf dem Schiff war es kalt, kälter als im Wasser, und er trug nur sein dünnes T-Shirt. Seine Jacke hatte er ja Clary gegeben.
Jace schaute sich um. »Hier ist irgendwo eine Tür, die in das Schiff hineinführt. Ich bin bei meinem letzten Besuch zufällig daraufgestoßen. Wir müssen nur um das Deck herumgehen, um sie wiederzufinden.«
Luke setzte sich in Bewegung.
»Lass mich vorgehen«, fügte Jace hinzu und stellte sich vor ihn. Luke warf ihm einen verwirrten Blick zu und schien irgendetwas sagen zu wollen, lief dann aber einfach neben Jace her, während sie sich dem Bug des Schiffs näherten – der Stelle, an der Jace und Valentin am Abend zuvor gestanden hatten. Er hörte, wie das Wasser weit unten träge gegen den Bug klatschte.
»Was hat dein Vater gesagt, als du ihn getroffen hast?«, fragte Luke. »Was hat er dir versprochen?«
»Ach, du weißt schon. Das Übliche. Eine Dauerkarte auf Lebenszeit für die Knicks.« Jace klang unbekümmert, doch die Erinnerung an das Gespräch ging ihm stärker unter die Haut als die Kälte. »Valentin meinte, er würde dafür sorgen, dass weder mir ein Leid widerfahren würde noch sonst jemandem, der mir am Herzen liegt – vorausgesetzt, ich verlasse den Rat und kehre mit ihm nach Idris zurück.«
»Glaubst du …« Luke zögerte. »Meinst du, er würde Clary etwas antun, um es dir heimzuzahlen?«
Sie gingen um den Bug herum und Jace warf einen flüchtigen Blick auf die Freiheitsstatue in der Ferne, eine Figur aus strahlendem Licht. »Nein. Ich glaube, er hat sie gefangen genommen, damit wir ihr auf das Schiff folgen – was wir ja auch getan haben. Er will sie als Trumpfkarte. Das ist schon alles.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt einen Trumpf benötigt«, murmelte Luke und zog dabei seinen Kindjal aus der Scheide. Jace drehte sich um, folgte Lukes Blick – und starrte einen Moment lang stumm über das Deck.
Auf der Steuerbordseite des Schiffs befand sich eine riesige schwarze Öffnung im Deck, aus der in diesem Augenblick ein Schwarm dunkler Monster drang. Jace erinnerte sich an seinen letzten Besuch, wie er mit dem Engelsschwert in der Hand hier gestanden und sich entsetzt umgesehen hatte, während der Himmel und das Meer sich in eine brodelnde Masse albtraumhafter Kreaturen verwandelten. Jetzt befanden sich die Dämonen allerdings nicht mehr weit entfernt, sondern dicht vor ihm, ein schrill kreischender Haufen von Schreckensgestalten: der knochenweiße Raumdämon, der sie vor Lukes Haus angegriffen hatte; Oni-Dämonen mit ihren grünen Körpern, breiten Mäulern und Hörnern; die schleichenden schwarzen Kuri-Dämonen, Spinnendämonen mit ihren acht Zangenarmen und den vor Gift triefenden Fangzähnen.
Jace konnte sie gar nicht alle zählen. Er tastete nach Camael und zog die Waffe aus der Scheide, sodass ihr weißes Licht das Deck erhellte. Die Dämonen zischten beim Anblick der Engelsklinge, doch keiner von ihnen wich zurück. Die Furchtlosigkeitsrune auf Jace’ Schulter begann zu
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