Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
keine Zeit haben würden, Verstärkung aus Idris zu rufen. Und jetzt ist es zu spät.«
Die Inquisitorin schaute mit wirrem Blick zu ihr hoch. Ihr Haar hatte sich aus dem Knoten gelöst und hing ihr in schlaffen Strähnen ins Gesicht. So menschlich hatte Alec sie noch nie gesehen, doch der Anblick schenkte ihm keine Befriedigung, denn die Worte seiner Mutter jagten ihm einen eisigen Schauer über den Rücken: zu spät . »Nein, Maryse«, sagte Imogen. »Wir können immer noch …«
»Immer noch was? « Maryses Stimme überschlug sich. »Den Rat einberufen? Die Zeit haben wir nicht mehr: Es würde Stunden, wenn nicht Tage dauern, sie alle herkommen zu lassen. Wenn wir uns Valentin entgegenstellen wollen – und Gott weiß, dass wir keine andere Wahl haben …«
»… müssen wir es jetzt sofort tun«, schaltete sich eine tiefe Stimme ein. Alec drehte sich um. Hinter ihm stand Robert Lightwood mit finsterer Miene, gefolgt von Malik und weiteren Schattenjägern. Alec starrte seinen Vater an. Seit Jahren hatte er ihn nicht mehr in Kriegsmontur gesehen; seine Zeit war von Verwaltungsaufgaben in Anspruch genommen gewesen, mit der Leitung des Instituts, der Organisation der Division und der Regelung von Schattenwesen-Angelegenheiten. Der Anblick seines Vaters in schwerer Rüstung mit dem breiten Schwert auf dem Rücken erinnerte Alec irgendwie an seine Kindheit, als sein Vater der größte, stärkste und imposanteste Mann gewesen war, den er sich vorstellen konnte. Und Robert Lightwood war noch immer Furcht einflößend. Seit dem peinlichen Auftritt in Lukes Haus hatte Alec seinen Vater nicht mehr gesehen. Nun versuchte er, seinen Blick auf sich zu lenken, doch Robert schaute zu Maryse. »Die Division steht bereit«, sagte er. »Die Schiffe warten am Dock.«
Die Inquisitorin fuchtelte mit den Händen vor ihrem Gesicht herum. »Das nützt nichts«, sagte sie. »Wir sind nicht genug … wir können unmöglich …«
Malik beachtete sie nicht. Stattdessen wandte er sich an Maryse. »Wir sollten sehr bald aufbrechen«, sagte er und in seinem Tonfall lag der Respekt, den er gegenüber der Inquisitorin hatte vermissen lassen.
»Aber der Rat …«, setzte die Inquisitorin an. »Er sollte informiert werden.«
Mit einer schwungvollen Bewegung schob Maryse das Telefon auf dem Schreibtisch vor die Nase der Inquisitorin. »Sag du ihnen Bescheid. Erzähl ihnen, was du getan hast. Schließlich ist das dein Job.«
Die Inquisitorin schwieg und starrte wie benommen auf das Telefon, eine Hand vor den Mund gelegt.
Doch ehe Alec Mitleid mit ihr empfinden konnte, öffnete sich die Tür erneut und Isabelle kam in ihrer Schattenjägermontur herein, ihre lange goldene Peitsche in der einen Hand, eine Naginata mit langem Holzgriff in der anderen. Sie warf ihrem Bruder einen Blick zu und meinte: »Mach dich besser fertig. Wir brechen in wenigen Minuten auf.«
Alec musste grinsen; er konnte einfach nichts dagegen tun. Isabelle war immer so entschlossen . »Ist die für mich?«, fragte er und deutete dabei auf die Schwertlanze in ihrer Hand.
Ruckartig entzog Isabelle die Naginata seiner Reichweite. »Besorg dir gefälligst deine eigene!«
Manche Dinge ändern sich nie. Alec ging auf die Tür zu, blieb jedoch stehen, als ihm jemand die Hand auf die Schulter legte. Überrascht schaute er auf.
Es war sein Vater. Robert blickte ernst auf Alec hinab, doch in seinem faltigen und müden Gesicht lag ein Ausdruck von Stolz. »Wenn du eine Klinge benötigst, Alexander, meine Hellebarde liegt im Eingang … bedien dich.«
Alec schluckte und nickte, doch ehe er seinem Vater danken konnte, hörte er Isabelle hinter sich.
»Hier bitte, Mom«, sagte sie. Als Alec sich umdrehte, sah er, wie seine Schwester Maryse die Naginata reichte. Seine Mutter nahm die Waffe und ließ sie geschickt durch die Luft wirbeln.
»Danke, Isabelle«, sagte Maryse, senkte die Schwertlanze mit einer blitzschnellen Bewegung und richtete sie direkt auf das Herz der Inquisitorin.
Mit dem leeren, leidenden Blick einer zerstörten Statue schaute Imogen Herondale zu Maryse auf. »Willst du mich töten, Maryse?«
»Nicht im Entferntesten«, stieß Maryse zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir brauchen jeden Schattenjäger, der sich in der Stadt aufhält, und im Moment gehörst du dazu. Steh auf, lmogen, und mach dich zum Kampf bereit. Von jetzt an erteile ich hier die Befehle.« Sie lächelte grimmig. »Und als Erstes wirst du meinen Sohn aus dieser unseligen
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