Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
einen verzweifelten Schrei aus, als ihr Bruder wieder von der Reling zurück an Bord sprang. Seine Hellebarde lag noch dort, wo er sie hatte fallen lassen. Er packte die Waffe und bewegte sich auf Jace zu, um den sich nähernden Dämon gemeinsam in Empfang zu nehmen.
Doch er sollte es nicht bis zu Jace schaffen. Der Dämon, der bereits auf Jace zugestürzt war, machte völlig unvermittelt einen Schlenker und stürmte stattdessen auf Alec zu, wobei sein blutiger Saugrüssel gierig hin und her peitschte. Jace wirbelte herum, um Alec abzuschirmen, doch das von Gift zerfressene Metalldeck gab urplötzlich unter ihm nach: Sein Fuß stieß hindurch und er stürzte hart auf das Deck.
Alec blieb gerade noch Zeit, Jace’ Namen zu rufen, als der Dämon auch schon über ihm war. Alec stach mit seiner Hellebarde auf ihn ein und versenkte das scharfe Ende der Waffe tief im Fleisch des Dämons. Das Wesen bäumte sich auf und stieß einen sonderbar menschlichen Schrei aus, wobei schwarzes Blut aus der Wunde spritzte. Alec machte einen Schritt zurück und griff nach einer weiteren Waffe, als eine der Klauen des Dämons ihn erfasste und auf das Deck warf. Sekundenbruchteile später schlang sich der Saugrüssel um seinen Körper.
Irgendwo schrie Isabelle. Verzweifelt bemühte Jace sich, den Fuß aus dem Loch im Deck zu ziehen; die scharfen Metallkanten schlitzten ihm die Haut auf, ehe er endlich freikam und sich wieder aufrappelte.
Er hob Samandiriel. Die Seraphklinge ließ ein Licht aufflammen, das so hell wie eine Sternschnuppe leuchtete. Böse zischend zuckte der Dämon zurück und lockerte seinen Griff um Alec und einen Moment glaubte Jace, er würde ihn loslassen. Doch dann warf der Dämon ruckartig den Kopf zurück und schleuderte Alec von sich fort. Alec schlug auf dem blutbeschmierten Deck auf, schlitterte an den Rand, wo die Reling inzwischen weggebrochen war – und fiel mit einem einzigen, heiseren Schrei über Bord.
Gellend schrie Isabelle Alecs Namen; ihre Schreie trafen Jace, als hätte ihm jemand mit heißen Nadeln ins Ohr gestochen. Samandiriel loderte in seiner Hand. Sein Lichtschein beleuchtete den Dämon, der mit gierigem Blick in den riesigen Insektenaugen auf ihn zusteuerte. Doch Jace hatte einzig und allein Alec vor Augen: Alec, der über Bord ging, Alec, der in dem schwarzen Wasser tief unter ihnen ertrank. Jace glaubte, Salzwasser in seinem Mund zu schmecken, vielleicht war es aber auch Blut. Der Dämon stand nun fast über ihm. Jace hob Samandiriel und schleuderte die Waffe. Der Dämon kreischte auf, ein hohes, qualvolles Heulen – und dann ertönte ein knirschendes Quietschen von berstendem Metall, als das Deck plötzlich unter Jace nachgab und er in die Dunkelheit hinabstürzte.
19
D IES I RAE
»Du irrst dich«, sagte Clary, klang dabei jedoch nicht sehr überzeugt. »Du weißt gar nichts von mir oder Jace. Du versuchst doch nur …«
»Versuche nur was? Ich versuche, dich zu erreichen, Clarissa. Damit du verstehst.« Außer einer leisen Belustigung konnte Clary keinerlei Gefühl in Valentins Stimme entdecken.
»Du machst dich über uns lustig. Du glaubst, du kannst mich dazu benutzen, Jace wehzutun, und deswegen machst du dich lustig. Du bist ja nicht einmal mehr wütend«, fügte sie hinzu. »Ein richtiger Vater wäre wütend.«
»Ich bin ein richtiger Vater. Das Blut, das in meinen Adern fließt, fließt auch in deinen.«
»Du bist nicht mein Vater. Das ist Luke«, sagte Clary müde und genervt. »Das Thema hatten wir doch schon.«
»Du betrachtest Luke nur wegen seiner Beziehung zu deiner Mutter als deinen Vater …«
»Ihre Beziehung? « Clary lachte laut los. »Luke und meine Mutter sind Freunde.«
Einen Moment lang glaubte Clary, einen Ausdruck der Überraschung über sein Gesicht huschen zu sehen. Doch er sagte lediglich: »Tatsächlich?« Dann fügte er hinzu: »Glaubst du wirklich, Lucian hat das alles durchgemacht – dieses Leben des Schweigens, des Versteckens und der Flucht … dieses aufopferungsvolle Hüten eines Geheimnisses, das nicht einmal er selbst ganz verstehen konnte – nur aus Freundschaft? Du weißt in deinem Alter noch nicht sehr viel über die Menschen, Clary, und noch weniger über Männer.«
»Du kannst so viele Andeutungen über Luke machen, wie du willst. Das spielt keine Rolle. Du irrst dich, was ihn angeht, genau wie du dich bei Jace irrst. Du musst allen Menschen hässliche Beweggründe für ihr Tun unterstellen, weil hässliche Beweggründe das Einzige
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