Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
rote Haare hat«, erwiderte er, kletterte weiter und warf stirnrunzelnd einen Blick auf die Stadt. »Ich hatte gehofft, ich könnte das Nordtor von hier aus sehen, aber ich bin nicht hoch genug.«
Clary wusste, warum Simon diesen Wunsch verspürte. Man hatte Boten vor die Tore der Stadt geschickt, um die Schattenweltler zu bitten, noch zu warten, während der Rat sich beriet. Und Clary konnte nur hoffen, dass sie dazu bereit waren. In ihrer Fantasie malte sie sich aus, wie die Menge da draußen rastlos auf und ab lief, ungeduldig wartete und sich fragte, was in der Halle wohl vor sich ging …
Plötzlich öffnete sich eine der Doppeltüren einen Spalt und eine schlanke Gestalt schlüpfte heraus, schloss die Tür hinter sich und wandte sich Clary zu. Ihr Gesicht lag im Schatten, und erst als sie auf Clary zukam und in das Licht der Elbenlaternentrat, sah Clary die rot aufleuchtenden Haare - und erkannte ihre Mutter.
Mit einem verwirrten Ausdruck in den Augen schaute Jocelyn die Säule hinauf. »Oh, hallo, Simon. Freut mich, dass du so gut mit der Situation … zurechtkommst.«
Simon stieß sich von der Säule ab und landete leichtfüßig vor deren Sockel. Er wirkte ein wenig beschämt. »Hi, Mrs Fray.«
»Ich weiß nicht, ob es noch sinnvoll ist, mich weiterhin so zu nennen«, erwiderte Clarys Mutter. »Vielleicht solltest du mich einfach nur Jocelyn nennen.« Sie zögerte einen Moment. »So merkwürdig das alles auch sein mag, aber ich bin doch froh, dich hier bei Clary zu sehen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie lange es her ist, dass ich euch beide mal getrennt erlebt habe.«
Simon war sichtlich verlegen. »Ich freu mich auch, Sie wiederzusehen.«
»Danke, Simon.« Jocelyn warf ihrer Tochter einen Blick zu. »Hör mal, Clary, hättest du vielleicht ein paar Minuten Zeit für mich, damit wir reden können? Unter vier Augen?«
Einen langen Moment saß Clary einfach nur da und musterte ihre Mutter; sie hatte fast das Gefühl, eine Fremde anzusehen. Sie spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. Dann schaute sie zu Simon hinüber - der eindeutig auf ein Zeichen von ihr wartete, ob er gehen oder bleiben sollte - und seufzte. »Okay.«
Nachdem Simon ihr noch signalisiert hatte, dass er ihr die Daumen drückte, und dann in der Halle verschwunden war, drehte Clary sich wieder um und starrte geradeaus auf denPlatz vor ihr, während Jocelyn die Stufen herunterkam und sich neben sie hockte. Ein Teil von Clary hätte sich gern zur Seite gelehnt und den Kopf auf die Schulter ihrer Mutter gelegt. Und wenn sie die Augen schloss, könnte sie sogar so tun, als wäre alles in bester Ordnung, überlegte sie. Doch ein anderer Teil von ihr wusste, dass das keinen Unterschied machen würde - schließlich konnte sie nicht ewig die Augen verschließen.
»Clary …«, setzte Jocelyn nach einer Weile mit leiser Stimme an, »Clary, es tut mir so leid.«
Reglos starrte Clary auf ihre Hände. Sie hielt noch immer Patrick Penhallows Stele in den Fingern, wie ihr plötzlich bewusst wurde. Hoffentlich denkt er nicht, ich will sie stehlen, überlegte sie.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Platz jemals Wiedersehen würde«, murmelte Jocelyn. Clary warf ihr einen verstohlenen Seitenblick zu und stellte fest, dass ihre Mutter über die Stadt schaute und hinauf zu den Dämonentürmen, die ihr grellweißes Licht in den Himmel sandten.
»Manchmal habe ich davon geträumt«, fuhr Jocelyn fort. »Ich habe diesen Ort sogar malen wollen, meine Erinnerungen in Bildern festhalten wollen, doch das durfte ich nicht. Ich habe gedacht, wenn du die Gemälde jemals sehen würdest, könntest du anfangen, Fragen zu stellen und dich wundern, woher ich diese Vorstellungen hätte und wie mir diese Bilder überhaupt in den Kopf gekommen wären. Ich hatte fürchterliche Angst, du könntest herausfinden, woher ich wirklich stammte. Wer ich wirklich bin.«
»Und jetzt habe ich es herausgefunden.«
»Ja, jetzt hast du es herausgefunden«, bestätigte Jocelyn wehmütig. »Und du hast allen Grund, mich zu hassen.«
»Ich hasse dich nicht, Mom«, sagte Clary. »Ich kann dir nur einfach …«
»… nicht mehr vertrauen«, ergänzte Jocelyn. »Und das kann ich dir nicht verübeln. Ich hätte dir die Wahrheit sagen sollen.« Vorsichtig berührte sie Clary an der Schulter und schien erleichtert, als Clary nicht zurückzuckte. »Ich könnte dir jetzt sagen, dass ich das alles nur getan habe, weil
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