Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Bruder sich in einen Werwolf verwandelt hatte.«
»Das wusste ich damals nicht«, sagte Jocelyn. »Nach Lukes Tod hatte ich das Gefühl, in ein schwarzes Loch zu fallen. Monatelang verließ ich mein Schlafzimmer nicht, blieb die ganze Zeit im Bett und aß, wenn überhaupt, nur wegen des Kindes, das ich erwartete. Irdische würden diesen Zustand als eine Depression bezeichnen, aber Schattenjäger kennen solche Begriffe nicht. Valentinwar überzeugt, ich hätte nur eine schwierige Schwangerschaft. Er hat allen erzählt, ich wäre krank. Und ich war ja auch krank: Ich konnte nicht schlafen, glaubte, seltsame Geräusche zu hören, Schreie in der Nacht. Daraufhin gab Valentin mir abends immer einen Schlaftrunk, aber die verursachten bei mir Albträume. Furchtbare Träume, in denen Valentin mich unter Wasser tauchte, ein Messer in mich rammte oder mich mit irgendeinem Gift zum Erbrechen brachte. Morgens war ich dann wie gerädert und hab den ganzen Tag vor mich hin gedämmert. Ich hatte keine Ahnung, was jenseits meiner Schlafzimmerwände vor sich ging, keine Ahnung, dass Valentin Stephen zu einer Scheidung von Amatis gezwungen und ihn überredet hatte, Celine zu heiraten. Ich lebte wie in einem Nebel. Und dann…« Jocelyn verschränkte die Hände in ihrem Schoß, damit sie nicht länger zitterten. »Und dann bekam ich das Baby.«
Sie verstummte und schwieg so lange, dass Clary sich schon fragte, ob sie überhaupt noch weitererzählen würde. Blind starrte Jocelyn zu den Dämonentürmen hinauf; ihre Finger trommelten nervös auf ihren Knien. Schließlich fuhr sie fort: »Meine Mutter war bei mir, als das Kind auf die Welt kam. Du hast sie nicht mehr kennengelernt… deine Großmutter. Sie war eine so liebe und gütige Frau. Du hättest sie bestimmt gemocht. Als sie mir meinen Sohn reichte, sah ich zuerst nur, dass er perfekt in meinen Arm passte, dass seine Decke ganz weich war und dass er so winzig und zerbrechlich war, mit einem kleinen blonden Haarbüschel mitten auf dem Kopf. Und dann schlug er die Augen auf.«
Jocelyns Stimme klang matt, fast tonlos - und trotzdem spürte Clary, dass sie zu zittern begann, aus Furcht vor dem, was ihre Mutter als Nächstes sagen würde. Nicht, wollte sie rufen, erzähl es mir nicht. Doch Jocelyn fuhr fort und die Worte strömten wie kaltes Gift über ihre Lippen:
»Eine Woge des Entsetzens erfasste mich. Ich hatte das Gefühl, als hätte man mich in Säure getaucht - meine Haut schien sich von den Knochen zu lösen und ich musste mich förmlich zwingen, das Baby nicht fallen zu lassen und laut loszuschreien. Es heißt, jede Mutter würde ihr eigenes Kind instinktiv erkennen. Vermutlich gilt das auch für das Gegenteil: Jede Faser meines Körpers schrie, dass dies nicht mein Baby war, dass dies etwas Schreckliches war, ein unnatürliches Wesen, so unmenschlich wie ein Parasit. Wie konnte es sein, dass meine Mutter das nicht sah? Doch sie lächelte mich an, als wäre alles in bester Ordnung.
>Er heißt Jonathan<, sagte in dem Moment eine Stimme von der Schlafzimmertür her. Ich schaute auf und sah, dass Valentin die Szene vor ihm mit einem Ausdruck der Freude betrachtete. Und das Baby schlug erneut die Lider auf, als hätte es den Klang seines Namens erkannt. Seine Augen waren schwarz, schwarz wie die Nacht, bodenlos wie Tunnel, die in seinen Schädel gebohrt waren. In ihnen war nichts Menschliches.«
In der darauf folgenden Stille saß Clary wie versteinert da und starrte ihre Mutter in sprachlosem Entsetzen an. Sie redet hier von Jace, dachte sie. Von Jace, als er noch ein Baby war. Wie konnte man angesichts eines Babys nur so empfinden?
»Mom«, wisperte Clary. »Vielleicht … vielleicht hast du ja unter Schock gestanden oder so was. Oder vielleicht warst du krank …«
»Dasselbe hat Valentin mir auch erzählt«, erwiderte Jocelyn mit ausdrucksloser Stimme. »Dass ich krank sei. Valentin liebte Jonathan über alles. Er konnte nicht verstehen, was mit mir los war. Und ich wusste, dass er recht hatte. Ich war ein Monster, eine Mutter, die ihr eigenes Kind nicht ausstehen konnte. Damals habe ich daran gedacht, mir das Leben zu nehmen. Vielleicht hätte ich das auch getan, doch dann erhielt ich eine Nachricht, eine Flammenbotschaft von Ragnor Fell. Er war der Hexenmeister, der unserer Familie immer am nächsten gestanden hatte, derjenige, den wir kommen ließen, wenn wir einen Heilspruch benötigten oder ähnliche Dinge. Fell hatte herausgefunden, dass
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