Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Steinmetzarbeit verborgen oder an dünnen Metallketten aufgehängt, die wie Windspiele in der leichten Brise tanzten. Schutzrunen, glückbringende Runen und sogar solche für erfolgreiche Geschäfte. Als Clary all diese geheimen Zeichen betrachtete, wurde ihr zunehmend schwindlig.
Schweigend liefen sie weiter, immer im Schatten der Gebäude. Das Kopfsteinpflaster lag verlassen vor ihnen; sämtliche Geschäfte hatten geschlossen und waren verriegelt. Hin und wieder warf Clary einen verstohlenen Blick in die Schaufenster, die sie passierten. Es erschien ihr merkwürdig, in einer Ladenvitrine luxuriös verzierte, köstliche Pralinen zu entdecken und im nächsten Fenster eine ebenso üppige Präsentation tödlich glitzernder Waffen - Macheten, Streitkolben, mit Nägeln gespickte Knüppel und eine Fülle von Seraphklingen in unterschiedlichen Größen. »Keine Schusswaffen«, murmelte Clary, wobei ihr ihre eigene Stimme wie aus großer Ferne erschien.
Luke sah sie blinzelnd an. »Was meinst du damit?«
»Schattenjäger scheinen keinerlei Schusswaffen zu verwenden«, sagte Clary.
»Die Runen verhindern, dass sich das Schießpulver entzünden kann«, erklärte Luke. »Aber niemand weiß, warum. Trotzdem hat es Nephilim gegeben, die gegenüber Lykanthropen Gewehre eingesetzt haben. Um uns zu töten, braucht man keine Runen - eine einfache Silberkugel erfüllt den gleichen Zweck«, fügte er finster hinzu. Plötzlich hob er den Kopf. Im schwachen Licht der Dämmerung sah es fast so aus, als würde er wie ein Wolf die Ohren spitzen. »Stimmen«, sagte er. »Die Versammlung in der Garnison scheint vorüber sein.«
Rasch nahm er Clary am Arm und zog sie von der Hauptstraße fort in eine Seitengasse, an deren Ende ein kleiner Platz mit einem Brunnen in der Mitte auftauchte. Direkt vor ihnen führte eine Steinbrücke über einen schmalen Kanal. Im schwindenden Licht wirkte das Wasser des Kanals fast schwarz. Clary konnte die Stimmen nun selbst hören, die aus den umliegenden Straßen zu ihnen drangen. Sie klangen laut und aufgebracht. Clarys Schwindelanfall wurde immer stärker - sie hatte das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen schwanken und sie jeden Moment fallen. Keuchend lehnte sie sich gegen eine Häuserwand und schnappte nach Luft.
»Clary«, stieß Luke leise hervor. »Clary, alles in Ordnung mit dir?«
Seine Stimme klang gepresst und irgendwie seltsam. Clary schaute ihn an und ihr stockte der Atem. Seine Ohren waren lang und spitz, seine Zähne blitzten rasiermesserscharf auf und seine Augen funkelten in einem gefährlichen Gelbton …
»Luke«, flüsterte Clary. »Was passiert mit dir?«
»Clary.« Luke streckte die Hand nach ihr aus. Seine Finger waren merkwürdig lang, seine Nägel spitz und rostrot. »Was ist los?«
Clary schrie auf und wich zurück. Sie verstand nicht, wovor sie sich so sehr fürchtete - schließlich hatte sie Luke schon öfter in Wolfsgestalt gesehen und er hatte ihr nie auch nur ein Haar gekrümmt. Doch ihre Angst wuchs ins Unermessliche, saß wie ein lebendiges Wesen tief in ihr drin und ließ sich nicht mehr steuern. Luke packte Clary an den Schultern, doch sie krümmte sich und duckte sich von ihm fort, fort von seinen gelben, wilden Augen, obwohl er versuchte, sie zu beruhigen und mit seiner herkömmlichen, menschlichen Stimme anflehte, leise zu sein. »Clary, bitte …«
»Lass mich los! Lass mich los!«
Aber Luke ließ sie nicht los. »Das kommt von dem Seewasser … du halluzinierst, Clary … bitte versuch, dich zusammenzureißen.« Er zog sie in Richtung der Brücke, musste sie fast hinter sich herschleifen.
Clary spürte, wie ihr Tränen übers Gesicht rannen und ihre glühenden Wangen kühlten.
»Das ist alles nur eine Halluzination; nichts davon ist real. Bitte, versuch durchzuhalten, bitte«, flehte Luke und half ihr auf die Brücke. Clary konnte das Wasser riechen, das unter ihr grün und muffig dahinfloss. Irgendwelche Wesen bewegten sich unterhalb der Wasseroberfläche. Als sie genauer hinsah, schoss plötzlich ein schwarzer Fangarm daraus hervor, dessen schwammige Spitze mit nadelscharfen Zähnen besetzt war. Clary zuckte zusammen und wich zurück; sie wollte schreien, doch aus ihrer Kehle drang nur ein unterdrücktes Stöhnen.
Luke fing sie auf, als ihre Knie nachgaben, und hob sie hoch. Seit ihrem fünften oder sechsten Lebensjahr hatte er sie nicht mehr auf diese Weise gehalten. »Clary«, sagte er, doch der Rest seiner Worte verschwamm und
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