Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
aufschaute, entdeckte er Isabelle, die in der Eingangstür stand. Obwohl sie in dem hellen Schein nur als Silhouette zu erkennen war, konnte er an ihren in die Hüfte gestemmten Händen ablesen, dass sie verärgert war. »Was zum Teufel macht ihr zwei hier draußen?«, rief sie. »Wir haben uns schon gefragt, wo ihr steckt.«
Alec wandte sich wieder seinem Freund zu: »Jace …«
Doch Jace ignorierte Alecs ausgestreckte Hand und stand auf. »Ich hoffe für dich, dass du mit dem Rat recht behältst«, sagte er nur.
Schweigend sah Alec Jace hinterher, der verdrossen ins Haus zurückstolzierte. Plötzlich musste er an Simons Worte denken: Inzwischen frage ich mich, wie man nach so einem Bekenntnis wieder zur Normalität zurückkehren soll. Und ob wir jemals wieder Freunde sein können oder ob unsere Freundschaft zerbrochen ist. Nicht ihretwegen, sondern meinetwegen.
Als die Haustür ins Schloss fiel, blieb Alec allein im schwach beleuchteten Vorgarten zurück. Einen Moment lang schloss er die Augen und hinter seinen Lidern begann sich ein Bildnis abzuzeichnen - doch ausnahmsweise war es einmal nicht Jace’ Gesicht. Die Augen in dem Antlitz schimmerten grün, mit katzenartigen Pupillen.
Seufzend griff er in seine Tasche und holte einen Stift und ein Blatt Papier hervor, das er zuvor aus dem Spiralblock gerissen hatte, den er als Tagebuch nutzte. Entschlossen schrieb er ein paar Worte auf das Papier und zeichnete mit seiner Stele eine Feuerrune an den unteren Rand der Seite. Das Papier ging schneller in Flammen auf, als Alec erwartet hatte. Hastig ließ er es los, worauf es wie ein Glühwürmchen durch die Nachtluft segelte. Sekunden später blieb nur noch eine feine Aschewolke zurück, die sich wie weißes Pulver auf die Rosensträucher legte.
5
E IN G EDÄCHTNISPROBLEM
Warmes Nachmittagslicht weckte Clary aus ihren Träumen - ein heller Sonnenstrahl schob sich über ihr Gesicht und ließ die Innenseiten ihrer Lider lachsrot aufleuchten. Unruhig regte sie sich unter ihrer Decke und öffnete schließlich blinzelnd die Augen.
Das Fieber war verschwunden und mit ihm das Gefühl, dass ihre Knochen zerfließen und sich auflösen würden. Vorsichtig stützte Clary sich auf die Ellbogen und sah sich neugierig um. Offensichtlich befand sie sich in Amatis’ Gästezimmer - ein kleiner, weiß gestrichener Raum mit einem Bett, auf dem eine leuchtend bunte Webdecke lag. Spitzengardinen hingen vor den runden Fenstern und ließen kreisförmige Lichtkegel ein. Langsam setzte Clary sich vollständig auf und rechnete damit, dass das Schwindelgefühl sie erneut erfassen würde. Doch nichts dergleichen geschah - sie fühlte sich vollkommen gesund, regelrecht erholt und ausgeruht. Als sie aus dem Bett kletterte, schaute sie an sich herab: Jemand hatte sie in einen weißen, gestärkten, jetzt allerdings leicht zerknitterten Schlafanzug gesteckt, der ihr viel zu groß war. Die Ärmel hingen fast lachhaft weit über ihre Fingerspitzen.
Neugierig ging sie zu einem der kreisrunden Fenster und schaute hinaus: In der Ferne zog sich eine Reihe altgoldfarbener Steinhäuser mit bronzebraunen Dächern einen Hügel hinauf und direkt unter dem Fenster lag ein schmaler Garten in goldenen und braunen Herbstfarben. An der Seite des Hauses reichte ein Spaliergitter, an dem eine letzte Rose mit hängenden, verwelkenden Blütenblättern im Wind tanzte, vom Boden bis zu Clarys Fenster herauf.
Plötzlich hörte Clary jemanden an der Tür. Hastig sprang sie ins Bett zurück, gerade noch rechtzeitig, bevor Amatis mit einem Tablett in den Händen hereinkam. Als sie sah, dass Clary wach war, zog sie eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
»Wo ist Luke?«, fragte Clary in forderndem Tonfall und zog die Bettdecke Trost suchend bis zu den Ohren.
Bedächtig stellte Amatis das Tablett auf ein Tischchen neben dem Bett und zeigte auf einen Becher, aus dem heißer Dampf aufstieg, und einen Teller mit gebutterten Brotscheiben. »Du solltest etwas essen«, sagte sie. »Dann fühlst du dich gleich besser.«
»Mir geht’s prima«, erwiderte Clary. »Wo ist Luke?«
Neben dem Tisch stand ein Stuhl mit hoher Lehne, auf den Amatis sich nun setzte. Sie faltete die Hände im Schoß und betrachtete Clary ruhig. Im hellen Tageslicht konnte Clary die Runzeln in ihrem Gesicht deutlicher erkennen - sie wirkte um etliche Jahre älter als Clarys Mutter, obwohl beide ungefähr gleich alt sein mussten. Graue Strähnen schimmerten in Amatis’ braunen Haaren
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