Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
oder wie sie zu Amatis’ Haus zurückfinden sollte, doch das schien alles überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Schließlich hatte sie nicht die geringste Lust, dorthin zurückzukehren und Luke zu erklären, dass sie Alicante sofort verlassen mussten, weil Jace sie sonst dem Rat melden würde.
Vielleicht hatte Jace ja recht. Vielleicht war sie tatsächlich unbesonnen und leichtfertig. Vielleicht dachte sie ja wirklich nicht darüber nach, welche Auswirkungen ihre Handlungen auf die Menschen hatten, die sie liebte. Vor ihrem inneren Auge tauchte Simons Gesicht auf, gestochen scharf wie ein Foto, und dann Luke…
Clary hielt inne und stützte sich gegen einen Laternenpfahl. Der rechteckige Beleuchtungskörper erinnerte sie an die Gaslaternen, die in Park Slope noch vor vielen der Sandsteinbauten standen. Irgendwie beruhigte sie der Anblick.
»Clary!« Die besorgte Stimme eines Jungen schallte durch die Straße. Jace, dachte Clary sofort und wirbelte herum.
Doch es war nicht Jace. Vor ihr stand Sebastian, der dunkelhaarige Junge aus dem Wohnzimmer der Penhallows; er wirkte leicht außer Atem, als wäre er ihr nachgelaufen.
Erneut wurde Clary von demselben Gefühl ergriffen, das sie bereits bei ihrer ersten Begegnung mit Sebastian gespürt hatte -eine Art Erkennen, vermischt mit einer Empfindung, die sie jedoch nicht genau benennen konnte. Dabei ging es nicht um Sympathie oder Antipathie: Es war vielmehr wie ein Sog, als zöge sie irgendetwas zu diesem Jungen, den sie doch gar nicht kannte. Vielleicht lag es ja an seinem Aussehen. Er wirkte umwerfend, so attraktiv wie Jace, doch im Gegensatz zu diesem schien er nur aus Blässe und Schatten zu bestehen. Allerdings konnte Clary nun erkennen, dass seine Ähnlichkeit mit ihrem imaginären Traumprinzen nicht ganz so groß war, wie sie zunächst gedacht hatte. Selbst die Haarfarbe schien anders. Aber da war etwas … irgendetwas an der Form seines Gesichts, an seiner Körperhaltung, an der dunklen Verschlossenheit seiner Augen…
»Alles in Ordnung?«, fragte er sanft. »Du bist aus dem Haus gerannt wie eine …« Er verstummte, als er sie genauer betrachtete. Clary klammerte sich noch immer an den Laternenpfahl, als könnte sie sich ohne ihn nicht auf den Beinen halten. »Was ist passiert?«
»Ich habe mich mit Jace gestritten«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Du weißt ja, wie das ist.«
»Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht«, erklärte er fast entschuldigend. »Ich habe keine Geschwister.«
»Sei froh!«, schnaubte Clary und wunderte sich über die Bitterkeit in ihrer Stimme.
»Das meinst du doch nicht ernst.« Sebastian trat einen Schritt auf sie zu und in dem Moment erwachte die Straßenlaterne flackernd zum Leben und tauchte sie beide in einen Kegel aus weißem Elbenlicht. Sebastian schaute zur Lampe hinauf und lächelte. »Das ist ein Zeichen.«
»Ein Zeichen wofür?«
»Ein Zeichen, dass du dich von mir nach Hause bringen lassen solltest.«
»Aber ich habe keine Ahnung, wo das ist«, gab Clary zu bedenken. »Ich hab mich aus dem Haus geschlichen, um hierherzukommen, und ich weiß nicht mehr, welchen Weg ich genommen habe.«
»Okay. Bei wem wohnst du denn?«
Clary zögerte damit, seine Frage zu beantworten.
»Ich werde es niemandem verraten«, versprach Sebastian. »Das schwöre ich beim Erzengel.«
Erstaunt starrte Clary ihn an: Für einen Schattenjäger war das ein schwerwiegender Eid. »Also gut«, sagte sie schließlich, ehe sie es sich anders überlegte. »Ich wohne bei Amatis Herondale.«
»Prima. Ich weiß genau, wo ihr Haus liegt.« Sebastian bot Clary seinen Arm. »Wollen wir?«
»Du bist ziemlich zielstrebig«, entgegnete Clary, brachte aber ein Lächeln zustande.
Sebastian zuckte die Achseln. »Ich habe nun mal eine Schwäche für junge Damen in Not.« . ;
»Sei nicht so sexistisch.«
»Keineswegs. Meine Dienste stehen auch jungen Gentlemen in Not zur Verfügung. Bei dieser Schwäche gilt Chancengleichheit für beide Geschlechter«, sagte er, machte eine elegante Verbeugung und bot ihr erneut seinen Arm an.
Dieses Mal hakte Clary sich bei ihm unter.
Alec schloss die Tür der kleinen Dachkammer hinter sich und wandte sich Jace zu. Die Augen des Achtzehnjährigen besaßen normalerweise die Farbe des Lyn-Sees, ein helles, klares Blau, das sich je nach Stimmungslage jedoch verändern konnte. In diesem Moment erinnerte Alecs Augenfarbe eher an den East River während eines Gewitters und auch der
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