Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Beachtung schenken. Doch Simon wusste genau, wie schnell sich Jace’ scheinbares Desinteresse in brutale Gewalt verwandeln konnte.
»Jace, tritt in den Kreis«, befahl Lilith. »Und bring das Mädchen mit.«
Gehorsam setzte Jace sich in Bewegung und schob Clary vor sich her. Als sie den äußeren der beiden mit schwarzer Farbe aufgetragenen Kreise überquerten, flammten die Runen im Zwischenbereich grell und feuerrot auf. Und noch etwas anderes leuchtete auf: Eine Rune auf Jace’ Brust, direkt über dem Herzen, glühte plötzlich so hell, dass Simon die Augen schließen musste. Doch selbst durch die Lider konnte er die Rune noch wahrnehmen — ein tückischer Wirbel wütender Linien.
»Mach die Augen auf, Tageslichtler«, fauchte Lilith. »Der Moment ist gekommen: Wirst du mir dein Blut geben oder weigerst du dich? Den Preis dafür kennst du ja.«
Simon blickte auf Sebastian in seinem Sarg hinab und zuckte zurück. Auch auf seiner Brust leuchtete eine Rune — dieselbe wie auf Jace’ Haut. Sie begann jedoch, bereits wieder zu verblassen. Einen Augenblick später war sie vollständig verschwunden und Sebastian schwebte erneut ruhig in der Flüssigkeit. Vollkommen weiß. Und reglos. Und ohne erkennbare Atmung.
Tot.
»Ich kann ihn nicht wiederbeleben«, sagte Simon. »Er ist tot. Selbst wenn ich Ihnen mein Blut gebe, kann er es trotzdem nicht mehr schlucken.«
Lilith fauchte zwischen zusammengebissenen Zähnen und ihre Augen glühten einen Moment lang leuchtend grün auf. »Zuerst musst du ihn beißen«, zischte sie wütend. »Du bist ein Tageslichtler. Engelsblut fließt durch deinen Körper: in deinem Blut, in deinen Tränen, in der Flüssigkeit deiner Fangzähne. Dein Tageslichtler-Blut wird ihn lange genug wiederbeleben, dass er schlucken und trinken kann. Beiß ihn und gib ihm dein Blut! Bring ihn mir zurück!«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Simon Lilith an. »Aber … was haben Sie da gerade gesagt? Soll das heißen, ich habe die Kraft, die Toten zurückzuholen?«
»Seit dem Moment, in dem du dich in einen Tageslichtler verwandelt hast. Seitdem besitzt du diese Fähigkeit. Aber du hast nicht das Recht, sie anzuwenden«, erklärte sie.
»Das Recht?«
Lilith lächelte und fuhr mit der Spitze ihres langen, rot lackierten Fingernagels über den Glasdeckel von Sebastians Sarg. »Geschichte wird von den Siegern geschrieben«, sagte sie. »Möglicherweise besteht gar kein so großer Unterschied, wie du vielleicht annimmst, zwischen der Seite des Lichts und der Seite der Finsternis. Denn ohne die Finsternis bleibt für das Licht nichts mehr, was es verbrennen kann.«
Simon starrte sie verständnislos an.
»Gleichgewicht«, erläuterte sie. »Es gibt Gesetze, die älter sind, als du dir auch nur vorstellen kannst. Und eines dieser Gesetze lautet: Was tot ist, kann nicht zum Leben wiedererweckt werden. Sobald die Seele den Körper verlassen hat, gehört sie dem Tod. Und sie kann nicht zurückgeführt werden, ohne dafür einen Preis zu zahlen.«
»Und Sie sind bereit, diesen Preis zu zahlen? Für ihn?« Simon zeigte auf Sebastian.
»Er ist der Preis.« Lilith warf den Kopf in den Nacken und lachte — es klang fast wie ein menschliches Lachen. »Wenn das Licht eine Seele zurückholt, dann hat die Finsternis das Recht, ebenfalls eine Seele zurückzuholen. Auf dieses Recht erhebe ich Anspruch. Aber vielleicht solltest du lieber deine kleine Freundin fragen, wovon ich rede.«
Verwundert schaute Simon in Clarys Richtung. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment das Bewusstsein verlieren.
»Raziel«, murmelte sie matt. »Als Jace gestorben ist …«
»Jace ist gestorben?«, fragte Simon ungläubig; seine Stimme klang fast eine Oktave höher als sonst.
Dagegen blieb Jace vollkommen gelassen und ungerührt — trotz der Tatsache, dass sich dieses Gespräch um ihn drehte. Das Messer lag ruhig in seiner Hand.
»Valentin hat ihn erstochen«, erklärte Clary fast im Flüsterton. »Und dann hat der Engel Valentin getötet und gesagt, ich könnte alles haben, was ich mir nur wünschte. Und ich hab gesagt, ich wünsche mir Jace zurück. Ich wollte ihn wiederhaben und der Engel hat ihn von den Toten zurückgeholt — für mich.« Ihre grünen Augen wirkten in ihrem kleinen weißen Gesicht riesig groß. »Aber er war nur ein paar Minuten tot … eigentlich so gut wie gar nicht …«
»Es war lange genug«, flüsterte Lilith. »Ich war dort, als mein Sohn gegen Jace gekämpft hat. Ich habe gesehen, wie er zu
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