Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
den bisherigen Stockwerken war dieses Geschoss zumindest teilweise fertiggestellt: Nackte Granitwände ragten um sie herum auf und der Boden war mit glatten schwarzen Steinfliesen ausgelegt. Ein Korridor erstreckte sich in zwei Richtungen. Eine Seite des Gangs endete vor einem Haufen Baumaterial und Kabelgewirr; die andere Seite führte zu einem Torbogen und hinter dem Torbogen öffnete sich ein dunkler nachtschwarzer Raum.
Isabelle drehte sich zu den anderen um: Alec hatte den Elbenlichtstein wieder weggesteckt und hielt eine strahlende Seraphklinge in den Händen, die das Innere der Aufzugskabine wie eine Laterne ausleuchtete. Jordan hatte ein großes, gefährlich wirkendes Messer gezückt und Maia schien auf den ersten Blick damit beschäftigt, ihre Haare hochzustecken. Als sie ihre Hände wieder herunternahm, wirbelte sie jedoch eine lange Haarnadel mit rasierklingenscharfer Spitze zwischen den Fingern. Auch ihre Fingernägel waren gewachsen und ihre Augen funkelten grünlich und wild.
»Mir nach«, wisperte Isabelle. »Und keinen Mucks!«
Flapp, flapp, flatterte der Anhänger beharrlich an Isabelles Hals, während sie vorsichtig den Raum erkundete. Sie konnte die anderen zwar nicht hören, wusste aber aufgrund der langen Schatten auf den dunklen Granitwänden, dass sie direkt hinter ihr waren. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und ihre Nerven sirrten vor Aufregung — wie jedes Mal, wenn sie in den Kampf zog. Diesen Teil mochte sie am wenigsten: die Anspannung vor der explosiven Gewaltentladung. Während des Kampfes zählte nichts anderes als der Kampf selbst, doch jetzt hatte sie Mühe, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
Der Torbogen wölbte sich hoch über ihnen. Er war aus Marmor gemeißelt und mit Schnörkeln verziert — seltsam altmodisch für ein solch modernes Gebäude. Als Isabelle beim Passieren einen kurzen Blick nach oben warf, wäre sie fast zurückgezuckt. Die groteske Fratze eines in Stein gehauenen Ungeheuers grinste sie anzüglich an. Sie schnitt ihm eine Grimasse und wandte sich dann dem Bereich zu, der vor ihnen lag.
Es handelte sich um einen riesigen Raum mit hohen Decken, der eines Tages wohl als großzügiges Loft dienen würde. Alle drei Seiten waren als deckenhohe Fensterreihen ausgelegt mit Ausblick auf den East River und Queens. In der Ferne warf ein blinkendes Coca-Cola-Symbol blutrote und marineblaue Spiegelungen auf die schwarzen Fluten des Flusses. Die Lichter der umliegenden Gebäude flirrten glitzernd in der Nachtluft, wie Lametta an einem Weihnachtsbaum. Der Raum selbst war dunkel und nur von seltsamen, gedrungenen Schatten übersät, die in regelmäßigen Abständen tief über dem Boden zu schweben schienen.
Verwirrt warf Isabelle einen Blick darauf. Die Schatten waren nicht belebt; offenbar handelte es sich um kleine, rechteckige Möbelstücke. Aber was sollte das sein …?
»Alec«, sagte sie leise. Ihr Anhänger zuckte und zappelte, als wäre er lebendig, und das rubinrote Herz drückte unangenehm heiß gegen ihre Haut.
Im Bruchteil einer Sekunde stand Alec neben ihr. Er hob die Seraphklinge in die Höhe und im nächsten Moment erfüllte ihr Strahlen den ganzen Raum mit Licht.
Entsetzt schlug Isabelle eine Hand vor den Mund. »Oh, Gott«, wisperte sie. »Oh, mein Gott.«
»Sie sind aber nicht seine Mutter«, widersprach Simon mit krächzender Stimme, doch Lilith würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Ihre Hände ruhten noch immer auf dem Glassarg, in dem Sebastian still und reglos schwebte. Seine Füße waren nackt, wie Simon feststellte. »Er hat schon eine Mutter. Clarys Mutter. Clary ist seine Schwester. Sebastian — Jonathan — wird nicht erfreut sein, wenn Sie ihr wehtun.«
Bei diesen Worten schaute Lilith auf und lachte. »Netter Versuch, Tageslichtler«, höhnte sie. »Aber ich kenne ihn besser. Ich habe meinen Sohn nämlich aufwachsen sehen, musst du wissen. Unzählige Male habe ich ihn in Gestalt einer Eule aufgesucht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass die Frau, die ihn zur Welt gebracht hat, ihn hasste. Jonathan hat nichts für sie übrig, und das zu Recht. Auch seine Schwester interessiert ihn nicht. Er ähnelt mir viel mehr als Jocelyn Morgenstern.« Liliths dunkle Augen wanderten von Simon zu Jace und Clary. Die beiden hatten sich nicht bewegt: Clary stand reglos in Jace’ Griff, der ihr das Messer weiterhin an die Kehle hielt. Er balancierte die Waffe leicht, fast nachlässig zwischen den Fingern, als würde er seiner Umgebung kaum
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