Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
kristallisierte in dem Moment, in dem die Tropfen den Boden berührten, zu winzigen Glasscherben.
Der Sarg lag nun geöffnet vor ihm, wie ein Aquarium. Sebastians Leichnam trieb darin, und als Lilith in den Behälter griff, glaubte Simon, die Rune auf seiner Brust ein weiteres Mal aufblitzen zu sehen. Sie nahm Sebastians Arme, die in der Flüssigkeit schwebten, und verschränkte sie liebevoll vor seiner Brust, wobei sie den bandagierten Stumpf unter den unversehrten Arm schob. Dann strich sie ihm eine feuchte Locke aus der noch immer leblosen weißen Stirn und trat einen Schritt zurück, während sie gleichzeitig das milchweiße Wasser von ihren Händen schüttelte.
»An die Arbeit, Tageslichtler«, forderte sie.
Widerstrebend bewegte Simon sich auf den Sarg zu. Sebastians Gesichtszüge waren erschlafft, seine Lider geschlossen und in seiner Kehle schlug kein Puls. Simon erinnerte sich daran, wie er sich mit jeder Faser seines Körpers danach gesehnt hatte, Maureens Blut zu trinken, wie sehr er danach gelechzt hatte, seine Zähne tief in ihre Haut zu schlagen und das darunter strömende, salzige Blut freizulegen. Aber das hier … das war so, als würde er sich von einem Leichnam ernähren. Allein beim Gedanken daran drehte sich ihm schon der Magen um.
Obwohl sein Blick auf den Sarg gerichtet war, konnte er spüren, dass Clary ihn beobachtete. Er konnte hören, wie sie den Atem anhielt, als er sich über Sebastian beugte. Und er konnte fühlen, dass auch Jace ihn beobachtete, aus leeren, ausdruckslosen Augen. Langsam griff Simon in den Sarg und legte seine Hände um Sebastians kalte, glitschige Schultern. Tapfer unterdrückte er den aufkommenden Brechreiz, beugte sich vor und versenkte dann widerwillig seine Zähne in Sebastians Kehle. Im nächsten Moment strömte schwarzes Dämonenblut in seinen Mund, so bitter wie Gift.
Schweigend bewegte Isabelle sich zwischen den Steinsockeln hindurch. Alec blieb eng an ihrer Seite; die Seraphklinge Sandalphon in seiner Hand sandte helle Lichtstrahlen durch den Raum. Maia stand in einer Ecke des Lofts, nach vorn gebeugt, eine Hand gegen die Wand gestützt, und würgte. Jordan war bei ihr und sah so aus, als wollte er seine Hand ausstrecken und ihr tröstend über den Rücken streichen, traute sich aber nicht.
Isabelle konnte Maia keine Vorwürfe machen, dass sie sich übergeben musste. Ohne ihr jahrelanges Training wäre es ihr selbst jetzt bestimmt nicht anders ergangen. Noch nie zuvor hatte sie etwas Derartiges gesehen wie das, was sie hier vorgefunden hatten: Dutzende, wenn nicht sogar fünfzig niedrige Steinsockel waren über den Raum verteilt. Auf jedem der Sockel thronte ein krippenartiger Korb. Und in jedem Korb lag ein Säugling. Und jeder einzelne dieser Säuglinge war tot.
Während sie die Reihen abschritt, hatte sie anfangs noch gehofft — gehofft, eines der Kinder noch lebend anzutreffen. Aber diese Säuglinge waren schon eine ganze Weile tot. Ihre Haut schillerte gräulich, ihre kleinen Gesichtchen wirkten zerschunden und verfärbt. Sie waren in dünne Decken gewickelt, aber obwohl die Luft im Raum kalt war, erschien sie Isabelle nicht kalt genug, um einen Erfrierungstod herbeizuführen. Sie war sich nicht sicher, wie die Kinder gestorben waren, aber sie brachte es einfach nicht über sich, genauer nachzusehen — dies war eindeutig eine Aufgabe Für den Rat.
Ihrem Bruder, der hinter ihr ging, liefen Tränen übers Gesicht und er stieß leise Flüche aus, als sie den letzten der Steinsockel erreichten. Maia hatte sich inzwischen aufgerichtet und lehnte an einem Fenster; Jordan hatte ihr offenbar irgendein Tuch, vermutlich ein Taschentuch, gegeben, das sie sich nun ans Gesicht drückte. Die kalten weißen Lichter der Stadt brannten hinter ihr, durchdrangen das dunkle Glas wie Diamantbohrer.
»Izzy«, wandte Alec sich an seine Schwester, »wer kann so was getan haben? Warum sollte jemand … selbst ein Dämon …« Er verstummte.
Doch Isabelle wusste, woran er dachte: Max, wie er gerade das Licht der Welt erblickt hatte. Sie war damals sieben Jahre alt gewesen und Alec neun. Gemeinsam hatten sie sich über ihren Bruder in der Krippe gebeugt, begeistert und verzaubert von diesem faszinierenden kleinen Wesen. Sie hatten mit seinen winzigen Fingerchen gespielt und über die seltsamen Fratzen gelacht, die er schnitt, wenn sie ihn kitzelten. Isabelle verspürte einen Stich im Herzen, als sie an ihren kleinen Bruder zurückdachte. Max.
Während sie die Reihen der
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