Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
dann hatte die Schwerkraft sie wieder fest im Griff und sie sackte wie ein Stein nach unten. Instinktiv zog sie Arme und Beine ein und kniff die Augen fest zusammen. Das Seil straffte sich und sie federte zurück in Richtung Gebälk, ehe sie erneut hinabsauste. Als ihre Geschwindigkeit allmählich nachließ, öffnete sie die Augen und stellte dann fest, dass sie etwa eineinhalb Meter oberhalb von Jace in der Luft baumelte.
»Na super«, sagte er grinsend. »Anmutig wie eine Schneeflocke.«
»Hab ich geschrien?«, fragte Clary, aufrichtig neugierig. »Du weißt schon … auf dem Weg nach unten.«
Jace nickte. »Glücklicherweise ist keiner von den anderen zu Hause, weil sie nämlich sonst angenommen hätten, ich würde dich umbringen.«
»Ha! Du kommst ja noch nicht mal an mich heran.« Clary trat mit einem Fuß in seine Richtung und drehte sich träge am Seilende.
Jace’ Augen funkelten. »Willst du wetten?«
Clary kannte diesen Gesichtsausdruck. »Nein … nicht«, setzte sie rasch an, »lass das lieber …«
Aber es war bereits zu spät: Jace hatte es schon getan. Seine Reaktionen waren so schnell, dass man die einzelnen Bewegungen kaum sehen konnte. Clary nahm nur wahr, dass seine Hand zu seinem Gürtel griff, und dann blitzte auch schon etwas in der Luft auf. Im nächsten Moment hörte sie, wie das Seil über ihr riss, und sie stürzte in freiem Fall in die Tiefe, zu überrascht, um laut aufzuschreien — und landete direkt in Jace’ Armen. Die Wucht des Aufpralls ließ ihn rückwärtstaumein und sie krachten gemeinsam auf eine der dicken Turnmatten, Clary mitten auf ihm.
Breit grinsend schaute er zu ihr hoch. »Na, das war doch schon viel besser«, bemerkte er süffisant. »Du hast überhaupt nicht geschrien.«
»Dazu hatte ich auch keine Gelegenheit«, erwiderte Clary atemlos — nicht nur wegen des Aufpralls. Die Tatsache, dass sie mit gespreizten Armen und Beinen auf Jace lag und seinen Körper dicht an ihrem spürte, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hatte angenommen, dass seine körperliche Anziehungskraft — ihre gegenseitige körperliche Anziehungskraft — im Laufe der Zeit nachlassen würde, aber das war nicht passiert. Im Gegenteil: Je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, umso schlimmer war es geworden. Oder besser — je nachdem, wie man es betrachtete, überlegte Clary.
Jace musterte sie aus seinen dunkelgoldbraunen Augen und Clary fragte sich, ob deren Farbe wohl noch intensiver geworden war nach seiner Begegnung mit dem Erzengel Raziel am Ufer des Lyn-Sees in Idris. Schließlich konnte sie sonst niemanden danach fragen: Obwohl allen bekannt war, dass Valentin den Engel herbeigerufen hatte und Raziel Jace von den Wunden geheilt hatte, die Valentin ihm zugefügt hatte, wusste niemand außer Clary und Jace, dass Valentin mehr getan hatte, als seinen Stiefsohn einfach nur zu verletzen: Er hatte ihm im Laufe der Beschwörungszeremonie eine Klinge ins Herz gerammt — und Jace in seinen Armen sterben lassen. Erst auf Clarys Bitte hin hatte Raziel Jace von den Toten erweckt. Das ungeheure Ausmaß dieser Handlung erschütterte Clary noch immer bis ins Mark und sie nahm an, dass es Jace nicht anders erging. Sie hatten vereinbart, niemandem zu erzählen, dass Jace tatsächlich tot gewesen war, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Es war ihr Geheimnis.
Jace streckte eine Hand aus und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Das war nur ein Scherz«, sagte er. »Du bist gar nicht mal so schlecht. Irgendwann kriegst du den Dreh noch raus. Du hättest mal Alec bei seinen ersten Salti sehen sollen. Ich glaube, einmal hat er sich sogar selbst gegen den Kopf getreten.«
»Kann sein, aber damals war er wahrscheinlich erst elf«, erwiderte Clary und betrachtete Jace. »Aber du bist bei diesem ganzen Zeugs vermutlich schon immer sensationell gewesen, oder?«
»Ich bin sensationell zur Welt gekommen«, grinste Jace und strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. Obwohl es nur eine ganz leichte Berührung war, jagte sie Clary einen Schauer durch den Körper, wie ein elektrischer Stromstoß. Seine Bemerkung kommentierte sie nicht — schließlich hatte er nur einen Scherz gemacht —, aber in gewisser Hinsicht lag auch ein Körnchen Wahrheit darin: Jace war zu Höherem geboren. »Wie lange kannst du heute bleiben?«, fragte er.
Clary schenkte ihm ein kleines Lächeln. »Sind wir denn mit dem Training fertig?«
»Ich denke, dass wir den Teil, der unbedingt erforderlich ist, absolviert haben.
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