Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Waffen hingen ordentlich und der Größe nach sortiert an der Wand — von einem schweren Breitschwert bis hin zu einem Satz dünner Dolche.
Clary stand im Türrahmen und unterdrückte einen Seufzer. Die Sauberkeit und Übersichtlichkeit des Raums war eine Sache — daran war sie gewöhnt. Sie hatte immer angenommen, dass es sich dabei um Jace’ Methode handelte, Kontrolle über ein Leben auszuüben, das ihn sonst mit seinem Chaos zu überwältigen drohte. Er hatte so lange Zeit nicht gewusst, wer oder was er tatsächlich war, dass sie ihm die sorgfältige alphabetische Anordnung seiner Gedichtsammlung wohl kaum verübeln konnte.
Was sie ihm jedoch richtig übel nahm, war die Tatsache, dass er nicht da war. Wenn er nach der Flucht aus dem Brautmodengeschäft nicht nach Hause zurückgekehrt war, wohin war er dann verschwunden? Während Clary sich in seinem Zimmer umsah, beschlich sie ein Gefühl der Unwirklichkeit. Es war doch nicht möglich, dass das hier tatsächlich passierte, oder? Sie wusste von anderen Mädchen, wie Trennungen in der Regel abliefen: Zuerst das Sichrarmachen, die zunehmende Weigerung, E-Mails oder Telefonate zu beantworten. Die vagen Versicherungen, dass alles in Ordnung sei und dass man nur etwas mehr Zeit für sich benötige. Dann das gefürchtete Gespräch mit der typischen Mitteilung: »Es ist nicht deine Schuld. Es liegt an mir.« Und dann der Teil, bei dem die Tränen flossen.
Sie hätte nie geglaubt, dass irgendetwas davon einmal für sie und Jace gelten könnte. Das, was sie beide verband, ging über gewöhnliche Beziehungen hinaus und unterlag nicht den üblichen Regeln von Zusammensein und Trennung. Sie gehörten hundertprozentig zueinander und daran würde sich auch nie etwas ändern.
Aber vielleicht empfanden ja alle Paare am Anfang so? Bis zu dem Moment, in dem ihnen bewusst wurde, dass sie genau wie alle anderen waren und dass alles, was sie für wahr und echt gehalten hatten, in tausend Stücke zerbrach.
Plötzlich fiel Clarys Blick auf einen silbern glitzernden Gegenstand: das Kästchen, das Amatis Jace gegeben hatte, mit dem kunstvollen Vogelrelief an den Seiten. Sie wusste, dass er sich regelmäßig damit beschäftigte, jeden Brief in Ruhe las und sämtliche Tagebucheinträge und Fotos eingehend studierte. Er erzählte nicht viel darüber und sie wollte ihn auch nicht drängen. Seine Gefühle für seinen leiblichen Vater gehörten zu den Dingen, mit denen er sich allein auseinandersetzen musste.
Trotzdem fühlte Clary sich von der Schatulle nun irgendwie angezogen. Sie erinnerte sich daran, wie Jace in Idris auf den Stufen zur Halle des Abkommens gesessen hatte, das Kästchen auf dem Schoß. Als ob ich einfach aufhören könnte, dich zu lieben!, hatte er damals gesagt. Vorsichtig berührte sie den Deckel des Kästchens und ihre Finger fanden den Schnappverschluss, der sofort aufsprang und den Blick auf kreuz und quer liegende Briefe, Zettel und alte Fotografien freigab. Clary nahm eines der Bilder heraus und betrachtete es fasziniert. Auf dem Foto waren zwei Leute abgebildet: eine junge Frau und ein junger Mann. Die Frau erkannte Clary sofort: Amatis, Lukes Schwester. Sie schaute zu dem jungen Mann auf, mit leuchtenden Augen und dem Strahlen der ersten großen Liebe. Der junge Mann war attraktiv, groß und blond. Allerdings besaß er blaue statt goldbraune Augen und seine Gesichtszüge wirkten weniger markant als die von Jace … und dennoch sorgte das Wissen, dass es sich um Jace’ leiblichen Vater handelte, dafür, dass sich ihr der Magen zusammenzog.
Hastig legte sie das Foto von Stephen Herondale wieder zurück, wobei sie sich fast an einem schmalen Jagddolch geschnitten hätte, der quer in der Schatulle lag. Vögel zierten das Heft der Waffe und die Klinge war leicht angerostet — oder zumindest sah es nach Rost aus. Vermutlich war sie nicht ordentlich gereinigt worden. Rasch klappte Clary das Kästchen zu und wandte sich mit leicht schlechtem Gewissen zum Gehen.
Sie hatte überlegt, ob sie vielleicht eine Nachricht hinterlassen sollte, sich dann aber dagegen entschieden. Es war besser zu warten, bis sie mit Jace persönlich sprechen konnte. Auf dem Weg zum Aufzug klopfte sie noch kurz an Isabelles Tür, doch auch sie war offenbar nicht zu Hause. Selbst die Elbenlichtfackeln schienen schwächer zu brennen als üblich. Extrem frustriert streckte Clary die Hand zum Aufzugknopf aus, nur um festzustellen, dass er bereits leuchtete. Irgendjemand war gerade auf dem Weg
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