Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
ernannt. Aber bald darauf habe ich herausgefunden, dass sie Menschen umbrachte. Aus purer Lust am Töten. Ihr Blut trank. Gegen den Bündnisvertrag verstieß. Das passiert manchmal: Vampire schlagen aus der Art und es gibt nichts, womit man sie aufhalten könnte. Aber dass so etwas einem Clanoberhaupt passiert … eigentlich sollten gerade sie es besser wissen.« Raphael stand reglos da, mit einem gedankenverlorenen Ausdruck in den Augen. »Wir sind nicht wie die Wölfe, diese Barbaren. Wir töten unsere Anführer nicht, um den nächsten zu bestimmen. Für einen Vampir ist es das schlimmste Verbrechen, eine Hand gegen einen anderen Vampir zu erheben, selbst wenn letzterer gegen das Gesetz verstoßen hat. Und Camille besitzt viele Verbündete, viele Gefolgsleute. Es wäre für mich ein zu großes Risiko gewesen, sie öffentlich anzugreifen. Stattdessen bin ich zu ihr gegangen und habe sie aufgefordert, den Clan zu verlassen … habe ihr damit gedroht, dass ich anderenfalls den Rat informieren würde. Natürlich widerstrebte mir der Gedanke, weil ich wusste, dass Camilles Verhalten auf den gesamten Clan zurückfallen würde. Man würde uns allen misstrauen und in unseren Angelegenheiten herumschnüffeln. Wir würden entehrt und gedemütigt vor anderen Clans dastehen.«
Maryse stieß ein ungeduldiges Schnauben hervor. »Es gibt wichtigere Dinge als einen Prestigeverlust.«
»Nicht für Vampire. Denn das kann den entscheidenden Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.« Raphael senkte die Stimme: »Ich spekulierte darauf, dass sie meine Drohung ernst nahm — was sie dann auch tatsächlich tat. Sie willigte ein, uns zu verlassen. Ich schickte sie fort, doch das schuf ein Problem: Ihren Platz einnehmen konnte ich nicht, da sie nicht offiziell abgedankt hatte. Und ich konnte ihren Weggang auch nicht erklären, ohne ihre Taten aufzudecken. Also musste ich das Ganze als langfristige Abwesenheit hinstellen, als ausgedehnte Reisetätigkeit. In unseren Kreisen ist Fernweh nichts Ungewöhnliches, jeden von uns überkommt es hin und wieder. Wenn man ewig lebt, kann einem das langjährige Verweilen an einem Ort wie ein unerträgliches Gefängnis erscheinen.«
»Und wie lange hast du geglaubt, diese Scharade aufrechterhalten zu können?«, fragte Luke.
»So lange wie möglich«, erwiderte Raphael. »Doch das ist nun vorbei.« Er wandte den Blick ab und schaute zum Fenster, hinaus in die glitzernde Nacht.
Luke lehnte sich gegen eines der Bücherregale. Mit leichter Belustigung stellte er fest, dass er in der Gestaltwandler-Abteilung gelandet war, mit dicken Wälzern über Werwölfe, Naga, Kitsune und Selkies. »Vielleicht interessiert es dich ja, dass Camille genau dieselbe Geschichte über dich verbreitet«, erklärte er, ohne preiszugeben, wem sie davon erzählt hatte.
»Ich dachte, sie hätte die Stadt verlassen.«
»Möglicherweise war sie fort, doch nun ist sie zurückgekehrt«, bestätigte Maryse. »Und allem Anschein nach gibt sie sich nicht länger mit Menschenblut zufrieden.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, erwiderte Raphael. »Ich habe nur versucht, meinen Clan zu schützen. Wenn es das Gesetz verlangt, dass ich dafür bestraft werde, dann werde ich die Strafe akzeptieren.«
»Wir haben kein Interesse daran, dich zu bestrafen, Raphael«, entgegnete Luke. »Es sei denn, du weigerst dich, mit uns zusammenzuarbeiten.«
Raphael wandte sich ihm ruckartig zu; seine dunklen Augen funkelten aufgebracht. »Wobei zusammenarbeiten?«
»Wir möchten Camille gern fassen. Lebend«, erläuterte Maryse. »Wir wollen sie befragen. Denn wir müssen herausfinden, warum sie mehrere Schattenjäger getötet hat — und vor allem, warum ausgerechnet diese Schattenjäger.«
»Wenn ihr das ernsthaft zu erreichen versucht, kann ich nur hoffen, dass ihr euch einen sehr raffinierten Plan ausgedacht habt.« Eine Mischung aus Belustigung und Hohn schwang in Raphaels Stimme mit. »Camille ist gerissen, selbst nach unseren Maßstäben — und die sind bekanntlich sehr ambitioniert.«
»Ich habe einen Plan«, verkündete Luke. »Einen Plan, der die Beteiligung des Tageslichtlers vorsieht. Simon Lewis.«
Raphael verzog das Gesicht. »Ich mag ihn nicht«, sagte er verächtlich. »Ich würde es vorziehen, nicht in einen Plan verwickelt zu werden, der auf seine Beteiligung angewiesen ist.«
»Na, so ein Pech aber auch«, erwiderte Luke trocken.
Blöd, dachte Clary. Echt blöd von mir, keinen Schirm mitzunehmen. Der leichte
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