Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
für ihre Umgebung und nur noch von einem Gedanken beherrscht: möglichst schnell zum Ausgang zu gelangen.
»Und jetzt«, brüllte Eric in sein Mikro, »kommt ein neuer Song — einer, den wir gerade erst geschrieben haben. Die Nummer ist für meine Freundin. Wir sind jetzt schon seit drei Wochen zusammen und gottverdammmich, das ist wahre Liebe. Wir werden für immer zusammenbleiben, Baby! Das Stück heißt ›Bang You Like a Drum‹.«
Das Publikum quittierte seine Worte mit Gelächter und Applaus und im nächsten Moment setzte die Musik ein. Allerdings konnte Simon nicht genau sagen, ob Eric eigentlich klar war, dass die Leute seine Ankündigung für einen Witz hielten — worum es sich eindeutig nicht handelte. Eric war jedes Mal total verliebt in das Mädchen, mit dem er gerade was angefangen hatte, und er schrieb dann jedes Mal einen total unpassenden Song darüber. Normalerweise hätte Simon sich nicht darum gekümmert, aber heute hatte er wirklich gehofft, den Auftritt bereits mit dem vorherigen Stück beenden zu können. Er fühlte sich schlechter denn je — ihm war schwindlig und heiß und er hatte einen metallischen Geschmack im Mund, nach altem Blut.
Die Musik wummerte um ihn herum, stach wie mit spitzen Nägeln auf sein Trommelfell ein. Seine Finger konnten den Bass kaum noch halten und rutschten über die Saiten und er sah, wie Kirk ihm einen fragenden Blick zuwarf. Verzweifelt kämpfte er darum, sich zu konzentrieren, aber genauso gut hätte er versuchen können, einen Wagen mit einer leeren Batterie anzulassen. Ein hohles, jaulendes Geräusch hallte durch seinen Kopf, aber es fehlte der zündende Funke.
Simon starrte hinunter in die Bar, suchte — aus einem unerklärlichen Grund — nach Isabelle. Doch er konnte nur ein Meer aus weißen Gesichtern erkennen und fühlte sich unwillkürlich an seine erste Nacht im Hotel Dumont erinnert und an die weißen Gesichter der Vampire, die ihn angestarrt hatten wie weiße Papierblumen vor einem dunklen Nichts. Sofort überkam ihn eine Woge der Übelkeit. Mit schmerzverzerrtem Gesicht taumelte er rückwärts; seine Hände glitten vom Bass und der Boden unter seinen Füßen schien zu beben.
Die anderen Mitglieder der Band waren derart in die Musik vertieft, dass sie offenbar nichts bemerkten. Simon riss sich den Gitarrengurt von der Schulter und drängte an Matt vorbei zum Vorhang am hinteren Ende der Bühne. Es gelang ihm gerade noch, unter dem schweren Samtstoff hindurchzutauchen, ehe er auch schon auf die Knie ging und würgen musste.
Doch sein Magen gab nichts her — er war so leer wie ein ausgetrockneter Brunnen. Mühsam rappelte Simon sich auf, lehnte sich an die Wand und presste die eiskalten Hände gegen sein heißes Gesicht. Seit Wochen war ihm weder kalt noch warm gewesen, aber jetzt fühlte er sich fiebrig — und von Angst erfüllt. Was passierte mit ihm?
Plötzlich erinnerte er sich wieder an Jace’ Worte: Du bist ein Vampir. Für dich ist Blut nicht einfach nur Nahrung. Blut ist … Blut. Hing dies alles vielleicht damit zusammen, dass er seit Tagen nichts gegessen hatte? Aber auch jetzt spürte er keinen Hunger, nicht einmal Durst. Stattdessen fühlte er sich elend und krank, als würde er sterben. Vielleicht hatte ihn jemand vergiftet. Vielleicht schützte ihn das Kainsmal ja nicht vor derartigen Angriffen.
Langsam schob er sich durch den Gang in Richtung der Feuerschutztür, die zu der Gasse hinter dem Club führte. Vielleicht würde die kalte Nachtluft ihm helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Möglicherweise handelte es sich bei alldem hier ja nur um die Nachwirkungen von Erschöpfung und Lampenfieber.
»Simon?« Eine dünne Stimme, wie das Piepsen eines Vogels, ertönte neben ihm.
Von einer bösen Vorahnung erfüllt, schaute er nach unten und sah, dass Maureen auf Höhe seines Ellbogens stand. Aus dieser Nähe wirkte sie noch winziger als zuvor — kleine, vogelartige Glieder und eine Fülle hellblonder Haare, die unter einer rosa Häkelkappe hervorschauten und sich über ihre Schultern ergossen. Dazu trug sie regenbogengestreifte Pulswärmer und ein kurzärmliges weißes T-Shirt mit einem Emily-Erdbeer-Siebdruck.
Simon stöhnte innerlich auf. »Jetzt ist wirklich kein günstiger Moment, Mo«, stieß er hervor.
»Ich wollte nur schnell mit meinem Handy ein Foto von dir machen«, piepste sie und schob sich nervös die blonden Locken hinter die Ohren. »Damit ich es meinen Freundinnen zeigen kann. Okay?«
»Oh Mann.«
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