Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Nieselregen, von dem ihre Mutter am Morgen gesprochen hatte, war zu einem heftigen Regenguss angeschwollen, als sie die Alto Bar an der Lorimer Street erreichte. Hastig zwängte sie sich an einem Knäuel von Leuten vorbei, die rauchend auf dem Gehweg standen, und tauchte dankbar in das trockene, warme Lokal ein.
Millennium Lint hatten bereits zu spielen angefangen — die Jungs bearbeiteten wie wild ihre Instrumente und Kyle stand vorn am Bühnenrand und knurrte sexy ins Mikro. Einen Moment lang war Clary sehr zufrieden mit sich: Schließlich war es zum Großteil ihr zu verdanken, dass die Band ihn als neuen Leadsänger engagiert hatte — und das zahlte sich offensichtlich aus.
Langsam sah sie sich im Raum um, in der Hoffnung, entweder Maia oder Isabelle zu entdecken. Clary wusste, dass nicht beide gleichzeitig anwesend sein konnten, da Simon sorgfältig darauf achtete, die beiden Mädchen immer nur abwechselnd zu seinen Auftritten einzuladen. Als ihr Blick auf eine schlanke Gestalt mit schwarzen Haaren fiel, bewegte sie sich gerade auf deren Tisch zu, hielt dann aber auf halber Strecke abrupt inne. Das war gar nicht Isabelle, sondern eine deutlich ältere Frau mit starkem Make-up und dunkel umrandeten Augen in einem Businessanzug. Sie las Zeitung — die Musik schien sie nicht zu interessieren.
»Clary! Hier drüben!«
Clary drehte sich um und entdeckte die richtige Isabelle an einem Tisch in der Nähe der Bühne. Die Schattenjägerin trug ein Kleid, das leuchtete wie ein silbernes Signalfeuer. Geschickt schob Clary sich zwischen den anderen Gästen hindurch und ließ sich dann auf den Stuhl gegenüber von Izzy fallen.
»Sieht aus, als wärst du vom Regen überrascht worden«, bemerkte Isabelle.
Mit einem reumütigen Lächeln schob Clary sich die feuchten Locken aus dem Gesicht. »Wenn du gegen Mutter Natur wettest, kannst du nur verlieren.«
Erstaunt hob Isabelle die dunklen Augenbrauen: »Ich dachte, du könntest heute nicht. Simon meinte, du müsstest dich um irgendwas im Zusammenhang mit diesem Hochzeitszirkus kümmern.« Eheschließungen und andere Demonstrationen romantischer Liebe schienen Isabelle nicht sonderlich zu beeindrucken.
»Meiner Mom ging es nicht gut. Deshalb hat sie den Termin verschoben«, erklärte Clary — was in gewisser Weise sogar der Wahrheit entsprach. Denn als sie vom Krankenhaus heimgekehrt waren, hatte Jocelyn sich sofort ins Schlafzimmer zurückgezogen und die Tür verschlossen. Hilflos und frustriert hatte Clary sie leise weinen gehört, doch ihre Mutter weigerte sich, sie hereinzulassen oder mit ihr zu reden. Irgendwann war Luke nach Hause gekommen und Clary hatte ihm dankbar die Sorge um ihre Mom überlassen und war in die Stadt gefahren, wo sie noch eine Weile durch die Geschäfte bummelte, ehe sie zum Gig von Simons Band fuhr. Sie hatte immer versucht, bei möglichst jedem seiner Auftritte dabei zu sein, und außerdem würde es ihr bestimmt besser gehen, wenn sie ihm ihr Herz ausschütten konnte.
»Soso«, sagte Isabelle, hakte aber nicht weiter nach. Manchmal war ihr mangelndes Interesse an den Problemen anderer fast schon eine Erleichterung. »Na jedenfalls wird Simon sich bestimmt freuen, dass du es doch noch geschafft hast.«
Clary warf einen Blick auf die Bühne. »Wie läuft’s denn bis jetzt?«
»Gut.« Nachdenklich kaute Isabelle auf ihrem Strohhalm herum. »Dieser neue Leadsänger ist echt scharf. Weißt du, ob er Single ist? Mit ihm würde ich wirklich zu gern mal in den Nahkampf gehen …«
»Isabelle!«
»Was denn?« Isabelle schaute kurz zu Clary und zuckte die Achseln. »Ach, jetzt reg dich doch nicht gleich auf. Simon und ich haben keine Exklusivrechte aneinander, das hab ich dir doch schon gesagt.«
Zugegeben: Simon hätte sich wohl kaum beschweren können, überlegte Clary. Aber er war immer noch ihr Freund und sie wollte gerade etwas zu seiner Verteidigung sagen, als sie wieder zur Bühne sah und plötzlich etwas entdeckte — eine vertraute Gestalt, die gerade durch den Bühneneingang trat. Clary hätte ihn überall und zu jeder Zeit wiedererkannt — ganz gleich wie dunkel es im Raum war oder wie unerwartet sein Erscheinen.
Jace. Er war wie ein Irdischer gekleidet: Jeans und ein enges schwarzes T-Shirt, das jede Bewegung der darunterliegenden Muskeln zeigte. Sein Haar glänzte im Schein der Bühnenbeleuchtung. Verstohlene Blicke folgten ihm, als er sich ein paar Meter von der Tür entfernte, sich gegen die Wand lehnte und den vorderen Bereich
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