Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
sie wieder in Ordnung kommt. »Ich hätte es euch sagen müssen. Es ist nur so … ich mag euch wirklich beide gern und … und ich wollte eure Gefühle nicht verletzen.«
In dem Moment, in dem ihm die Worte über die Lippen kamen, wurde ihm bewusst, wie dämlich das klang. Ein weiterer trotteliger Typ mit einer weiteren trotteligen Ausrede für sein trotteliges Verhalten. Simon hätte sich selbst niemals so eingeschätzt. Er war doch der nette Kerl von nebenan, der freundliche Junge, der schon mal gern übersehen wurde und gegenüber dem sexy Bad Boy oder dem gequälten Künstlertypen immer zurückstehen musste — also gegenüber jener Sorte von Mann, die sich nichts dabei dachte, zwei Mädchen gleichzeitig zu daten, vielleicht ohne dabei direkt zu lügen, aber auch ohne mit der Wahrheit herauszurücken.
»Wow!«, murmelte er, hauptsächlich an sich selbst gewandt. »Ich bin wirklich ein Riesenarschloch.«
»Das ist wahrscheinlich das erste wahre Wort, das ich seit meiner Ankunft hier von dir höre«, schnaubte Maia.
»Amen«, bestätigte Isabelle. »Wenn du allerdings mich fragst, kommt diese Erkenntnis zu spät und reicht auch nicht aus …«
Eine der Seitentüren der Bar öffnete sich und jemand trat hinaus ins Freie: Kyle. Als Simon ihn sah, verspürte er enorme Erleichterung: Kyle wirkte ernst, aber nicht so ernst, wie er wohl geschaut hätte, wenn Maureen den Abend nicht überlebt hätte. Langsam kam er die Stufen hinunter und auf sie zu. Der Sturzregen hatte sich inzwischen in ein leichtes Nieseln verwandelt.
Maia und Isabelle standen mit dem Rücken zu ihm und funkelten Simon mit einer geballten Ladung aufrichtiger Wut an. »Hoffentlich erwartest du nicht, dass eine von uns beiden auch nur noch ein Wort mit dir wechselt«, sagte Isabelle. »Und ich werde mal ein ernsthaftes Wörtchen mit Clary reden müssen — über die Wahl ihrer Freunde.«
»Kyle …«, setzte Simon mit großer Erleichterung in der Stimme an, als sein Mitbewohner in Hörweite kam. »Äh, Maureen … ist sie …?« Simon hatte keine Ahnung, wie er sich nach dem Zustand des Mädchens erkundigen konnte, ohne gleichzeitig Maia und Isabelle über das Geschehene zu informieren. Doch wie sich herausstellte, spielte das keine Rolle, weil er gar nicht die Gelegenheit erhielt, seine Frage zu beenden.
Denn Maia und Isabelle drehten sich um — Isabelle verärgert und Maia überrascht — und es war offensichtlich, dass sie sich fragten, wer Kyle war. Doch in dem Moment, in dem Maia einen genauen Blick auf ihn werfen konnte, veränderte sich ihre Miene schlagartig: Ihre Augen wurden riesengroß und sämtliches Blut wich aus ihren Wangen.
Und Kyle starrte sie seinerseits an, mit dem Ausdruck eines Mannes, der aus einem bösen Traum erwacht, nur um dann festzustellen, dass der Albtraum real ist und weitergeht. Seine Lippen bewegten sich und versuchten, Worte zu formulieren, doch er brachte keinen Ton hervor.
»Wow!«, sagte Isabelle und schaute von Maia zu Kyle und wieder zurück. »Kennt ihr zwei euch etwa?«
Maia öffnete unwillkürlich die Lippen und starrte Kyle weiterhin unverwandt an. Simon blieb gerade noch genügend Zeit, darüber nachzudenken, dass sie ihn noch nie mit einem derart intensiven Blick bedacht hatte, als sie auch schon dorthin« wisperte — und sich dann auf Kyle stürzte und ihm ihre ausgefahrenen Krallen tief in den Hals schlug.
TEIL ZWEI
FÜR JEDES LEBEN
Nichts ist umsonst. Alles hat seinen Preis. Für jeden Gewinn
an anderer Stelle ein Tribut. Für jedes Leben ein Todesfall.
Selbst für deine Musik, von der wir so viel gehört haben,
musste gezahlt werden. Deine Frau war der Preis für deine
Musik. Die Hölle ist nun zufrieden.
TED HUGHES, »DES TIGERS KNOCHEN«
10
232 RIVERSIDE DRIVE
Simon saß in Kyles Wohnzimmer und blickte unverwandt auf das erstarrte Bild auf dem Fernseher in der Ecke des Raums. Das Game, das Kyie und Jace gespielt hatten, war an dieser Stelle angehalten worden und zeigte einen feucht wirkenden unterirdischen Tunnel mit einem Haufen übereinandergestapelter Leichen auf dem Boden und einigen sehr realistisch wirkenden Blutlachen. Der Anblick war beunruhigend, doch Simon hatte weder die Energie noch große Lust, das Gerät auszuschalten. Die Bilder, die sich die ganze Nacht vor seinem inneren Auge abgespielt hatten, waren weitaus schlimmer gewesen.
Schwaches Licht fiel durch das Fenster in den Raum und wurde langsam heller — der wasserblaue Nachthimmel verwandelte sich in den
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