Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
glaube, sie kommen.«
Oskar sperrte seine Ohren auf. Tatsächlich. In weiter Ferne war ein Rauschen zu hören.
»Dann dürfen wir keine Zeit verlieren.« Humboldt zog sein Messer raus und ging zu der gerade erlegten Riesenschrecke hinüber. Mit einem mächtigen Hieb rammte er die Klinge in den Hinterleib des Wesens und zog einen langen Schnitt um die rötliche Spitze. Ein kurzer Ruck, dann hatte er eine violette Blase in der Hand. Ein schwerer Geruch durchströmte den Gang.
Oskar verzog das Gesicht. »Was um Himmels willen ist das?«
Der Forscher hielt die Blase in die Höhe. Oskar sah, dass sich eine Flüssigkeit darin befand. Der Forscher richtete die Spitze des abgetrennten Hinterleibes auf sich und drückte darauf. Ein feiner Schleier trat hervor und nebelte ihn ein. Es sah aus, als würde er sich mit einem Pafümflakon einsprühen. Ein schwerer Geruch legte sich auf Oskars Sinne.
Valkrys schnupperte angewidert. »Und das soll uns beschützen? Was ist das überhaupt für ein Zeug?«
»Das ist eine Duftdrüse«, sagte der Forscher. »Sie enthält ein Erkennungssekret. Insekten können zwar nicht besonders gut sehen und hören, sie können aber sehr gut riechen. Alle Staaten bildenden Insekten verfügen über ausgeprägte Duftorgane. Jeder, der nicht wie sie riecht, wird als Feind angesehen und vernichtet.«
»Heißt das, wir riechen dann wie sie?«, fragte Oskar.
»Das ist der Plan«, sagte Humboldt. »Hier, sprüht euch alle damit ein. Und beeilt euch.«
Zuerst waren die Frauen an der Reihe, dann Oskar, Pepper und Boswell und zum Abschluss Yupan und seine Krieger.
»Hoffen wir, dass Ihnen kein Fehler unterlaufen ist«, sagte Pepper und die Furcht stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Sonst wird es eine kurze Begrüßung.«
»Nun ja, wir werden es bald herausfinden.« Valkrys umklammerte ihr Schwert schlagbereit mit beiden Händen.
Das Geräusch der sich nähernden Krallen und Klauen wurde immer lauter. Es war ein Geräusch, das Oskars tiefste Ängste weckte. In diesem Tunnel – um ein Hundertfaches verstärkt – war es kaum zu ertragen.
»Beruhige dich.« Elizas Hand legte sich sanft auf seine Schulter. »Es wird schon alles gut gehen. Schließ am besten die Augen.«
Oskar konnte jetzt die Augen nicht zumachen. Er wollte sehen, was da auf sie zukam. Mit zusammengebissenen Zähnen wartete er ab.
Die Geräusche waren jetzt sehr nah. Plötzlich entdeckte er eine Bewegung im äußersten Lichtkreis. Langsam, wie eine Wand, schoben sich die Unterirdischen heran. Ihre Fühler tasteten durch die Luft, während ihre Zangen nervös auf- und zuklappten. Von hinten kam ein ähnliches Geräusch, fast wie bei einem Echo.
Oskar drehte sich um … und erstarrte. Sein Blick fiel auf eine Wand von Chitinpanzern, hornigen Beinen und traubenförmigen Augen. Der Rückweg war versperrt. Sie waren umzingelt.
50
»Jetzt nur keine Panik!« Die beschwörende Stimme des Forschers hallte durch den Tunnel. »Ganz ruhig. Es wird alles gut gehen, vertraut mir.«
»Das hast du schon einmal gesagt – damals, in Songshan – erinnerst du dich?« Die Ironie in Valkrys’ Stimme war Oskar nicht entgangen.
Sowohl aus der vorderen wie auch aus der hinteren Gruppe löste sich je ein Insekt und kam auf sie zu. Die Köpfe erhoben, begannen sie, sich sanft hin und her zu wiegen, fast, als würden sie tanzen.
»Alle bleiben ganz ruhig stehen«, befahl Humboldt. »Selbst wenn sie euch berühren, niemand bewegt sich. Sie glauben, wir wären ihre Artgenossen.«
Eines der Insekten kam auf Oskar zu und betrommelte ihn leicht mit seinen Fühlern. Der Junge hatte Elizas Hand ergriffen und drückte sie. Dann wandte sich das Wesen den anderen Gruppenmitgliedern zu. Nachdem alle ausgiebig mit ihren Fühlern berührt worden waren, gaben die Insekten einen kurzen Pfiff von sich und drehten sich um. Die Riesenschrecken zogen sich zurück. Binnen kürzester Zeit war von den beiden Patrouillen nichts mehr zu sehen.
»Das ist noch mal gut gegangen.« Humboldt lächelte erleichtert. »Ich muss gestehen, für einen Moment hatte ich meine Zweifel. Aber jetzt ist es überstanden. Ein großes Lob an euch alle. Ihr habt die Situation hervorragend gemeistert.« Er betrachtete die Duftdrüse. »Dieses Ding verschafft uns einen enormen Vorteil. Es ist, als hätten wir eine Tarnkappe. Los, kommt, meine Freunde. Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren.«
Er schnappte sich eine Fackel und stürmte weiter den Gang hinab.
Immer tiefer hinein in den
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