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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Träumen heimgesucht wurden.
    Unsicheren Schrittes trat er näher und streckte seinen Arm aus. Seine Finger strichen über die Außenhülle des vordersten Kokons. Das Material war bei Weitem nicht so weich, wie er vermutet hatte. Es war zäh wie Leder und gab auch unter Druck kaum nach. Er ging zum nächsten. Dieser war sogar noch fester. Der nächste war wiederum etwas weicher. Vielleicht war der Härtegrad ein Zeichen für das Alter. Je älter, desto härter. Er beugte sich vor und legte sein Ohr auf einen der Kokons. Nichts. In der Hülle war es so still wie in einem Sarg. Er ging weiter und wiederholte den Vorgang. Irgendwann blieb er stehen. In den Kokons regte sich nichts. Das flackernde Feuer und der betäubende Geruch hatten seinen Sinnen einen Streich gespielt. Wenn dort drinnen wirklich Menschen waren, so waren sie alle tot.
    »Pst!«
    Oskar drehte sich um. Humboldt gestikulierte wild mit den Händen. Er signalisierte ihm, endlich mit der Suche zu beginnen und dabei sein Rapier zu benutzen.
    Oskar rieb sich die Augen. Dieser verdammte Geruch. Denk nach, befahl er sich, denk nach. Wenn Charlotte hier ist, dann kann sie erst vor wenigen Minuten eingesponnen worden sein. Das hieß, er musste eine weiche Hülle finden.
    Fieberhaft tastete er die Kokons ab. Endlich fand er einen, der sehr weich war. Er lag ein wenig abseits.
    Oskar nahm das Rapier, setzte es auf und stieß vorsichtig durch das Material. Er arbeitete sehr langsam, schließlich wollte er niemanden verletzen. Die Klinge glitt durch den Stoff wie durch Butter. Schon nach wenigen Schnitten lag ein tellergroßer Abschnitt abgetrennt vor ihm auf dem Boden. Der Kopf einer alten Frau kam zum Vorschein. Die Haare unordentlich übers Gesicht gebettet, sah sie aus, als würde sie schlafen. Ihre Haut war eiskalt. Kein Atemzug kam über ihre Lippen. Die Frau war tot.
    Beim nächsten Kokon war es auch nicht besser. Ein junger Krieger lag darin, die Rüstung voller Kerben und Kampfspuren. Auch er war nicht mehr am Leben.
    Oskar spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. Er öffnete noch ein paar weitere Kokons, dann schüttelte er den Kopf. Es hatte keinen Sinn. Dies war eine Leichenhalle.
    In diesem Moment trottete eine kleine Gruppe von Dienerinsekten heran. Auf ihren Schultern trugen sie einen frisch gesponnenen Kokon. Sie legten ihn ab und begannen dann, die von Oskar geöffneten Hüllen wieder zu verschließen. Sie arbeiteten ohne Anzeichen von Beunruhigung, still, leise und mit stoischer Ruhe.
    Mit klopfendem Herzen wandte Oskar sich dem frischen Kokon zu. Er hob das Rapier und schnitt mit größter Vorsicht an der Längsachse entlang. Bitte, murmelte er, bitte lass mich nur einmal im Leben Glück haben.
    Der Ärmel einer Wanderjacke kam zum Vorschein, dann die Spitze eines braunen Lederschuhs. Um ein Haar hätte er laut aufgeschrien. Es war Charlottes Schuh.
    Seine Gebete waren wirklich erhört worden.
    Schnell steckte er das Rapier zurück und griff mit beiden Händen ins Innere des Kokons. Fieberhaft schaufelte er das watteähnliche Material beiseite. Es dauerte nicht lange, da hatte er alles freigelegt. Sein Herz machte einen Sprung. Charlottes Haut war noch warm. Er drehte sich um. »Ich habe sie gefunden«, flüsterte er. »Was soll ich mit ihr machen?«
    »Schaff sie hier raus«, zischte Humboldt. »Nimm dir ein paar Wachen und dann nichts wie zurück zum Schiff! Und nimm Eliza mit. Sie weiß, was zu tun ist.«
    »Und ihr?«
    Humboldts Gesicht bekam etwas Eisiges. »Wir bleiben hier. Wir haben noch etwas zu erledigen.«
    Oskar wusste, wovon der Forscher sprach. Ohne weitere Fragen zu stellen, griff er in den Kokon und holte Charlotte aus ihrem weißen Bett. Ihr Körper war leicht wie eine Feder. Er hob sie hoch und legte sie sich über die Schulter, als er eine sanfte Berührung an seiner Hand spürte. Ein Dienerinsekt hatte sich vor ihm aufgebaut und strich mit seinen Fühlern über seinen Arm. Jetzt kam ein zweites hinzu und dann noch eines. Im Nu sah sich Oskar umzingelt von lauter Dienern, die ihn aufgeregt mit ihren Fühlern betasteten.
    Dann packte einer Charlottes Fuß und begann, daran zu ziehen. Die Geste war eindeutig: Sie wollten sie wiederhaben.
    Angewidert gab Oskar dem Wesen einen Tritt. Es fiel auf den Rücken und fing an, mit den Füßen in der Luft herumzustrampeln. Ein durchdringendes Quäken entrang sich seiner Kehle. Oskar hätte ihm am liebsten den Mund zugehalten, aber er hatte keine Ahnung, wo bei diesen Viechern der Mund

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