Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
das nicht zweimal sagen ließen. In Windeseile bestrichen sie ihre Haut mit dem Duftsekret, dann eilten sie zurück in den Tunnel, aus dem sie gekommen waren.
Einer von ihnen brach der Königin einen Zahn aus dem Kiefer. Vermutlich eine Trophäe zum Andenken an diesen legendären Kampf.
Pepper war der Einzige, der bei Humboldt geblieben war.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Der Forscher nickte. »Wenn Sie vielleicht meine Armbrust und die Tasche mit den Gaskartuschen nehmen könnten?«
»Selbstverständlich.« Pepper nahm dem Forscher seine Waffen ab. Sein Blick ruhte sorgenvoll auf der Söldnerin. »Wird sie es schaffen?«
»Schwer zu sagen«, antwortete Humboldt. »Ihre Verletzungen sind tief. Was das Gift anrichtet, daran wage ich gar nicht zu denken.« Er zögerte, dann sagte er: »Sie beide standen sich sehr nahe, habe ich recht?«
Der Blick des Redakteurs war verschleiert. »Sie ist die aufregendste Frau, die ich jemals kennengelernt habe.« Ein schmales Lächeln umspielte seinen Mund: »Obwohl es Momente gab, in denen ich sie am liebsten die nächstbeste Felswand hinuntergestoßen hätte.«
Humboldt nickte. »Glauben Sie mir, ich weiß genau, wovon Sie reden.«
Hinter der nächsten Kehre wurden sie von den Indianern erwartet. Yupan deutete besorgt nach vorn. »Mein Späher sagt mir, dass der Hauptweg blockiert ist. Eine ganze Legion erregter und wütender Kriegerinsekten hat eine Art Straßensperre errichtet. Sie greifen alles und jeden an, selbst die eigenen Artgenossen. Der Duftstoff nutzt dort nichts mehr, wir können nicht weiter.«
»Der Tod der Königin scheint sich herumgesprochen zu haben«, sagte Boswell. »Jetzt wollen sie einen Schuldigen finden.«
»Dann müssen wir uns durch die Seitentunnels schlagen«, sagte Humboldt. Seine Hand verschwand in der Innentasche seines Mantels.
»Aber wie sollen wir das anstellen?«, rief Pepper. »Wenn wir dieses Labyrinth betreten, finden wir nie wieder hinaus.«
»Es sei denn, wir haben jemanden, der uns führt.« Humboldt hob seine Hand. Darin befand sich ein kleiner, glänzender Gegenstand, der unruhig hin und her zuckte. Ein ganz besonderer Kompass. Die augenförmige Markierung auf der Oberseite wies unablässig auf ein kleines graues Stück Metall, das irgendwo in seiner Tasche draußen auf dem Schiff schlummerte.
Der Regen hatte aufgehört. Einige dunkle Wolken kreuzten über den Himmel, doch an machen Stellen schimmerte bereits das Licht des späten Nachmittags hindurch.
Charlotte lag still und reglos auf dem Deck, die Augen geschlossen, das Gesicht himmelwärts gerichtet. Ihre Bluse war schmutzig und zerfetzt, ihr Haar strähnig und verfilzt. Ihre Haut war mit Schürfungen und Schnitten übersät. Oskar spürte, wie sich sein Herz bei diesem Anblick zusammenzog. Er hatte gehofft, sie retten zu können, doch wie es schien, war er zu spät gekommen. Alles, was er tun konnte, war, dazusitzen und ihre Hand zu halten. Sie fühlte sich schrecklich kalt an. Tränen rannen über sein Gesicht.
»Kannst du denn gar nichts machen?«, fragte er Eliza. »Ist wirklich alles zu spät?«
Die Zauberin zuckte mit den Schultern. »Ich habe alles versucht«, sagte sie. »Was jetzt noch zu tun ist, muss Charlotte selbst machen. Ich kann nicht mehr helfen.«
Oskar presste die Lippen aufeinander. Mit einem Mal hatte er den unbezwingbaren Wunsch, das Mädchen zu küssen. Es war ihm egal, ob die anderen ihn sahen oder was sie sich dabei dachten. Das Gefühl war stärker als alles, was er je zuvor gespürt hatte. Er beugte sich vor und legte seinen Mund auf Charlottes. Der Augenblick schien endlos zu dauern. Die Lippen des Mädchens, anfangs noch kalt und trocken, schienen tatsächlich wärmer zu werden. Nach einer Weile löste er sich wieder von ihr. Mit einem Schniefen wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht.
Auf einmal schlug Charlotte die Augen auf. Ihre Brust begann sich zu heben und zu senken. Ihre Nasenflügel bebten. Ihr Mund öffnete sich und atmete die Leben spendende Luft ein.
Eine Weile blickte sie umher, dann erkannte sie Oskar.
»Hast du mich etwa geküsst?«
Oskar schluckte. Er wusste nicht, was ihn in diesem Moment mehr erschütterte: die Tatsache, das Charlotte wach war, oder dass sie ihn erwischt hatte. »Ich … du lebst ja!«, stammelte er.
»Das hoffe ich doch.« Stöhnend richtete sich das Mädchen auf.
Die Zauberin griff ihr unter die Arme. »Langsam, meine Kleine«, flüsterte sie. »Das Gift ist immer noch in deinem
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