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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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überlegte sie, wie er wohl reagieren würde, wenn sie ihn wieder freiließ. Würde er sie als Führerin akzeptieren oder rebellieren? Wäre er kleinlaut oder aufsässig? Na ja, die Frage stellte sich ohnehin erst, wenn sie mit Humboldt fertig war. Im Moment hatte sie andere Sorgen.
    Sie erreichte die Oberkante des Felsbrockens. Flach auf den Boden gedrückt, den Colt in Vorhaltestellung, robbte sie vorwärts. Nach etwa drei Metern kam sie an eine Stelle, von wo aus sie einen hervorragenden Blick über den Talkessel hatte. Eine merkwürdige Gegend war das hier. Aus dem trockenen Gras ragte eine unübersehbare Anzahl mittelgroßer Steine, die einen irgendwie an Grabsteine erinnerten. Mitten hindurch floss der Colca mit seinem klaren blauen Wasser. Von Humboldt und seiner Begleitung war keine Spur zu sehen. Sie verharrte eine Weile und wartete, ob sie eine Bewegung entdeckte. Doch nichts rührte sich. Auch von den Maultieren fehlte jede Spur. Dabei hätte sie schwören können, durch das Tosen des Wassers Hufgetrappel gehört zu haben.
    Sie wartete noch einen Moment, dann trat sie den Rückzug an. Im Eilschritt rannte sie die steile Böschung hinab, band die Pferde los und führte sie durch das Felsentor. Schäumend und brausend strömte der Fluss neben ihr her. Die letzten Meter legte sie mit äußerster Vorsicht zurück. Sie war Profi genug, um zu wissen, dass sie irgendetwas übersehen haben konnte.
    Als sie das Ende des Tunnels erreicht hatte, blieb sie stehen. Sie blickte sich um, hob die Waffe und visierte einzelne Steine damit an. Dann zog sie den Abzug durch. Ein Krachen ertönte. Sie gab mehrere Schüsse ab, dann wartete sie. Donner rollte durch das Tal, hallte von den umliegenden Wänden wider und warf ein vielfaches Echo zurück.
    Nichts. Nicht das kleinste Lebenszeichen.
    Valkrys beugte sich vor und prüfte die Abdrücke im Staub. Die Hufspuren waren nicht zu übersehen. Mit einem Satz schwang sie sich zurück in den Sattel. Schade. Irgendwie hatte sie gehofft, er würde es zu einem offenen Kampf kommen lassen. Der Humboldt von früher hätte das getan. Vermutlich hatte sie ihn überschätzt.
    Sie gab dem Pferd die Sporen und ritt weiter.

27
     
     
    Die Schüsse war längst verhallt, als Oskar es wagte, einen Blick zu riskieren. Sein Herz klopfte wild. Mit angehaltenem Atem schob er seinen Kopf über den Wall und spähte hinab in den Kessel. Auf dem Weg, den sie gekommen waren, ritt ein höchst ungewöhnliches Gespann. Vorneweg, auf einem Apfelschimmel thronend, saß eine Frau mit flammend rotem Mantel und ebensolchen Haaren. Sie trug eine dunkelrote Reithose und schwarze Lederstiefel mit silbernen Sporen. In einem Halfter an ihrer Seite baumelte ein blank polierter Revolver. In einer Lederscheide auf dem Rücken steckte ein Schwert. Weitere Waffen wie Wurfsterne und Dolche waren an ihrem Oberarm befestigt. Hinter ihr, auf einem Schecken, ritt ein Mann. Oskar korrigierte sich. Bei dem armen Kerl von reiten sprechen zu wollen wäre die Übertreibung des Jahres gewesen. Bäuchlings über den Sattel gehängt und mit Seilen fest verschnürt, wirkte er wie ein Stück Vieh, das man zum Schlachthof transportierte. Die Augen der Frau suchten systematisch das Tal ab. Ihren Blicken blieb nichts verborgen. Langsam wandte sie den Kopf in ihre Richtung.
    »Runter mit dir!«
    Oskar spürte, wie ihn eine Hand nach unten drückte. Humboldts Gesicht verriet größte Anspannung. Er legte den Finger auf die Lippen und signalisierte allen, sich still zu verhalten. Charlotte hielt Wilma auf ihrem Schoß und drückte ihr den Schnabel zu. Nach einer Weile fasste der Forscher sich ein Herz und tauchte wieder auf. Das Fernglas an die Augen pressend, sagte er: »Glück gehabt. Sie hat uns nicht bemerkt.«
    Jetzt wagte auch Oskar, wieder hochzukommen. Das seltsame Gespann hatte den Talkessel beinahe durchquert. Als sie hinter einem Felsbrocken verschwanden, flüsterte Humboldt: »Geschafft. Und jetzt nichts wie rauf!«
    »Und die Maultiere?«, fragte Charlotte.
    »Valkrys wird sie bald finden. Wenn sie unseren Trick durchschaut, wird sie zurückkommen. Bis dahin müssen wir aus der Gefahrenzone raus sein. Also rauf jetzt, und zwar schnell!«
    Oskar schnappte sich Wilma und setzte sie hinten in seinen geöffneten Rucksack. Nur der Kopf des kleinen Vogels schaute noch heraus. Aufmerksam studierte er seine Umgebung.
    »Und wenn sie die Treppen findet?«
    Humboldt blieb die Antwort schuldig. Seine Augen verrieten mehr als tausend

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