Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
Platzersparnis in Halterungen entlang der Wände angebracht waren. Es gab verschiedene Geräte, deren Funktion sich völlig seiner Kenntnis entzog: geheimnisvolle Röhren, in denen grünliche Flüssigkeit gluckerte, elektrische Lichter und beleuchtete Skalen. Die Energieversorgung erfolgte über ein Kabel von Bord der Calypso und auch die Sauerstoffversorgung erfolgte von außen. Oskar fand, dass die künstliche Luft einen seltsamen Beigeschmack hatte. Es behagte ihm nicht, dass sie so vollständig vom Mutterschiff abhängig waren. Was war, wenn eines der Geräte versagte? Was, wenn sie plötzlich keine Luft mehr bekamen?
Plötzlich stand Océanne neben ihm. »Ein sehr interessanter Mann, dein Herr von Humboldt. So jemanden wie ihn habe ich noch nie gesehen«, flüsterte sie. »Mit seinem Zopf und dem kahl rasierten Schädel sieht er fast aus wie ein chinesischer Mönch. Dabei ist er groß und stattlich. Bestimmt ein ziemlicher Draufgänger. Wäre ich ein paar Jahre älter, ich glaube, er könnte mir gefallen.«
»Nachtigall, ich hör dir trapsen«, dachte Oskar. Diese junge Dame machte wirklich vor nichts halt. Er räusperte sich. Themenwechsel.
»Erzähl mir ein wenig über dich«, sagte er. »Gehst du noch zur Schule?«
»Schule?« Océanne gab ein abfälliges Lachen von sich. »In Frankreich sind Mädchenschulen nur Aufbewahrungsanstalten für verwöhnte Töchter. Ich wollte schon immer Erfinderin werden und habe die Schule deswegen vor drei Jahren geschmissen. Seitdem bin ich die rechte Hand meines Vaters.« Sie lächelte zu dem kleinen Mann hinüber. »Mittlerweile sind wir ein gut eingespieltes Team. Er ist zwar ein brillanter Schiffsbaumeister, aber er ist auch furchtbar chaotisch. Seit sie ihn aus der Armee entlassen haben, ist er nicht mehr derselbe. Manchmal ertappe ich ihn dabei, wie er nach seiner Brille sucht, obwohl sie auf seiner Nase sitzt. Ich glaube, er wüsste gar nicht mehr, was er ohne mich täte. Ich helfe ihm bei seiner täglichen Arbeit, mache Bestellungen und organisiere die Bezahlung der Arbeiter. Hauptsächlich Papierkram. Aber manchmal überkommt es mich doch – dann muss ich mir einen Schraubschlüssel schnappen und ein wenig herumschrauben. Die Nautilus ist zum Teil mein Werk. Ich habe den größten Teil der Inneneinrichtung gestaltet.«
»Ehrlich? Das finde ich großartig.« Oskar war ehrlich überrascht. Schwere körperliche Arbeit hätte er dieser zarten Person gar nicht zugetraut.
Rimbault beendete seine Vorbereitungen und gab seinen Helfern durch die Glasscheibe zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Dann trat er an das Sprachrohr und drehte an einer Handkurbel, die neben einem hölzernen Kasten hing. »Vous pouvez le faire descendre. Je répète: Vous pouvez le faire descendre!«
Ein Ruck durchlief die Nautilus.
»Die Halteklammern werden jetzt gelöst«, erläuterte Océanne. »Die Kugel hängt nur noch an dem Stahlseil, das auf der riesigen Trommel neben dem Kran aufgewickelt ist.«
»Wie weit reicht es hinunter?«
»Zweihundert Meter. Dort unten herrscht ein Druck von zwanzig Atmosphären. Das bedeutet, dass auf jedem einzelnen Quadratmeter unserer Außenhülle ein Druck von zwanzig Tonnen lasten würde, denn alle zehn Meter erhöht sich der Druck um eine Tonne.«
»Tausend Kilo alle zehn Meter?« Oskars Stimme überschlug sich vor Aufregung. »Ist das nicht verdammt viel?«
Océanne warf ihm einen Blick von der Seite zu. »Bist du noch nie getaucht?«
»Ich kann nicht mal schwimmen.«
»Oh. Na, dann lass dir gesagt sein, dass einem ab zehn Metern Tiefe ganz schön die Ohren knacken.«
»Bon«, rief Rimbault. »Es kann losgehen. Halten Sie sich bitte fest!« Er zog an einem Hebel und die Kugel begann zu sinken. Die Wasserkante wanderte nach oben. Ein Meter … fünfzig Zentimeter … zehn … die Kugel versank im Meer. Blaue Ewigkeit hüllte sie ein. Oskar sah den Rumpf der Calypso. Ruder und Schiffsschraube schienen in weiter Ferne zu schweben. Luftblasen, die wie Perlen glitzerten, stiegen an der Außenwand der Nautilus in die Höhe. Sonnenstrahlen durchbrachen die Wasseroberfläche und erzeugten Fächer aus reinem Licht. Tiefer und tiefer sank die Kugel. Die Calypso war schon längst oberhalb des Sichtfensters verschwunden, als Hippolyte den Hebel nach vorne drückte. Ein weiterer Ruck durchlief die Kugel.
»Zehn Meter«, verkündete er. »Zeit für eine erste Inspektion.«
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Humboldt hatte sich abgeschnallt und war
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