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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dem Forscher direkt in die Augen. Seine kleinen Knopfaugen leuchteten im Schein der Lampen.
    »Ja«, ertönte eine Blechstimme aus dem Kasten. »Großer schwarzer Vogel … gut verstehen.«
    Humboldts Brauen schossen in die Höhe. »Das ist doch wirklich …« Er blickte in die Runde. »Habt ihr das auch gehört?«
    »Und ob«, sagte Oskar. »Laut und deutlich.«
    »Das ist ja ganz und gar erstaunlich.« Humboldt trat auf den Vogel zu. Wilma ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
    »Gib mir noch etwas von der Spezialnahrung.«
    Charlotte reichte ihm die Dose und Humboldt nahm zwei Stückchen heraus. »Schau mal, Wilma. Wie viel Leckerli habe ich hier in meiner Hand?«
    »Zwei.«
    »Willst du sie haben?«
    »Ja. Wilma haben.« Der lange dünne Schnabel ging auf. »Wilma hungrig.«
    Humboldt gab ihr die beiden Bröckchen. Dann wandte er sich an die beiden Mädchen. »Ich bin sprachlos!«, rief er. »Ihr habt geschafft, woran ich seit Jahren gescheitert bin. Wie ist euch das bloß gelungen?«
    »Dein Fehler war vermutlich, dass du die menschliche Wortbildung vorausgesetzt hast«, sagte Charlotte. »Menschliche Sprache ist viel zu komplex. Wilma nimmt alles wörtlich. Sie ist nicht in der Lage, mit Bildern zu spielen oder Ironie zu verstehen. Sie ist wie ein Kleinkind, in der Gegenwart verhaftet und auf konkrete und unmittelbare Erfahrung beschränkt. Darum sind wir bei der Kalibrierung der Sprachspule genau anders herum vorgegangen. Wir haben Wilma alle möglichen Aufgaben gestellt und aufgenommen, was sie dazu gesagt hat. Als wir sicher waren, ihr komplettes Lautrepertoire aufgezeichnet zu haben, galt es, die passenden Bezüge in menschlicher Sprache herzustellen. Dann ging es nur noch darum, alles möglichst kompakt auf die verkleinerte Sprachspule zu übertragen und … voilà.« In Charlottes Stimme schwang Stolz mit. »Océanne hat die gesamte Verdrahtung erledigt. War eine Heidenarbeit, alles auf so kleinem Raum unterzubringen, aber schließlich wollen wir ja, dass Wilma ungehindert herumlaufen kann.« Sie deutete auf das zweite Linguaphon. »Wir haben die beiden Geräte übrigens mit einer Sende- und Empfangseinrichtung bestückt, sodass sie drahtlos miteinander kommunizieren können. Für den Fall, dass Wilma mal wieder in irgendwelchen dunklen Orten herumstromert.«
    Humboldt hielt die Hand auf und gab Wilma noch ein Stückchen der Spezialnahrung. »Wenig«, quäkte es aus dem Lautsprecher. »Wilma mehr.«
    »Ich bin beeindruckt«, sagte Humboldt. »Diese Erfindung könnte ein neues Zeitalter der Verständigung zwischen Mensch und Tier einläuten.« Seine Augen leuchteten. »Stellt euch vor, was wir damit alles erreichen könnten! Vielleicht gelingt es uns sogar eines Tages herauszufinden, wie Tiere denken. Überlegt mal, welche Chancen sich da bieten! Ich würde Wilma gerne ein paar Tests unterziehen, ehe wir morgen auf Tauchfahrt gehen. Würdet ihr sie mir ein Weilchen anvertrauen?«
    »Sie steht zu deiner Verfügung.« Charlotte grinste. »Solange du immer ausreichend Leckerlis in der Tasche hast, wird sie tun, was du von ihr verlangst.«
    Oskar wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm war ganz schwindelig von der kreativen Energie, die auf diesem Schiff herrschte. Oder war es der bestialische Gestank, den dieses Futter verströmte? Er spürte, wie sein Magen zu rebellieren begann. Die Hand vor den Mund haltend, rannte er wieder nach oben.

 
25
     
     
    Am nächsten Tag war das Meer tatsächlich ruhiger. Der Wind hatte nachgelassen und die Wogen waren auf ein paar kleine Wellen zusammengeschmolzen, die müde gegen den Rumpf der Calypso klatschten. Möwen umkreisten das Schiff und erfüllten die Luft mit schrillem Gekrächze.
    Der Termin für die Jungfernfahrt war auf neun Uhr anberaumt. Die Tauchkugel stand mit weit geöffneter Luke an Deck, ihre Außenhülle schimmerte wie die Haut eines gestrandeten Wals. Die Mannschaft war komplett versammelt und fieberte dem Augenblick entgegen, in dem die Nautilus ins Wasser gehoben wurde. Gespannte Erwartung lag in der Luft. Hippolyte Rimbault, der schon seit den frühen Morgenstunden unterwegs war, turnte wie ein Eichhörnchen auf der Kugel herum und schrie seinen Arbeitern Befehle zu. Seile knarrten und Ketten klirrten, als die dampfgetriebene Hebevorrichtung auf Vollgas ging und das tonnenschwere Monstrum in die Luft hob. Die Kolben übertrugen ihre Kraft auf ein kompliziertes System von Flaschenzügen, die an speziellen Halterungen an der Oberseite der Kugel

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