Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
Mann.«
»Wenn Sie möchten, übernehme ich die Wache auch selbst …«
»Lassen Sie nur, Jonathan. Vermutlich bin ich nur ein bisschen paranoid. Wenden wir uns lieber unserem Schmuckstück zu. Was denken Sie, wie viel wird es wiegen?«
»Schwer zu sagen. Fünfhundert bis achthundert Kilo. Er scheint in eine Art Obsidianring mit Goldapplikationen eingefasst zu sein. Wenn ich das richtig sehe, endet die Umfassung in etlichen spitzen Zacken, ähnlich wie bei einem Stern. Ideal, um die Seile daran festzumachen.«
Wilson nickte. »Ich möchte, dass Sie jemand hinunterlassen, der die Schlaufen daran festmacht. Dann heben wir das ganze Ding einfach hoch.«
»Es wäre mir eine Ehre, dies selbst tun zu dürfen.«
Wilson hob die Brauen. »Sie?«
»Jawohl, Sir.«
»Es ist nicht ganz ungefährlich, das wissen Sie. Sie haben ja gehört, was Humboldt uns darüber erzählt hat. Wollen Sie es trotzdem riskieren?«
»Gerade deshalb. Ich werde dem Sand nicht zu nahe kommen, versprochen. Ich mag als mutig gelten, lebensmüde bin ich nicht.«
Wilson wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht …«
»Bitte. Es wäre mir eine besondere Ehre, den sagenumwobenen Stein selbst bergen zu dürfen.« Er räusperte sich. »Ich habe mitangehört, was Sie Pepper vorhin angeboten haben. Wenn er nicht mehr zur Verfügung steht, würde der Platz auf der Urkunde frei bleiben. Ein Jammer, wie ich finde.«
»Sie wollen den Stein für die Krone in Empfang nehmen?«
»Es wäre mir ein große Ehre, Sir.«
Wilson überlegte noch einen Moment, dann sagte er: »Na gut, dann rauf mit Ihnen!« Er gab seinem Adjutanten einen Klaps auf die Schulter. »Sie sind nicht umsonst mein bester Mann. Ich bin stolz auf Sie.«
52
Jonathan Archer ergriff Ruperts Hand und ließ sich von ihm auf das Dach helfen. Der ehemalige Dockarbeiter war ein Bär von einem Mann. Seine Verletzung im Kampf gegen die Berber war schon wieder verheilt und er hatte bei der Errichtung des Krans tüchtig mitgeholfen.
»Danke«, sagte Archer, als er oben war. »Was macht die Hebevorrichtung?«
»Ist fertig und funktioniert. Wir müssen nur noch die Winde schmieren, dann kann’s losgehen.« Er zögerte kurz, dann fragte er: »Wer soll denn runter in die Höhle des Löwen? Ich hoffe, Sie haben nicht mich dafür auserkoren.« Er lachte verlegen.
»Keine Sorge, Sie brauche ich, um den Flaschenzug zu bedienen. Nein, ich werde selbst hinuntersteigen.«
»Sie, Sir?«
»Ich würde nichts von meinen Männern verlangen, was ich nicht selbst zu tun bereit wäre«, erwiderte Archer.
»Verstehe, Sir.«
»Außerdem habe ich mir schon immer gewünscht, mal etwas anderes zu tun, als Feinden die Rübe abzuhauen.« Er lachte. »Ich brauche Sie hier oben. Wenn etwas da unten nicht koscher ist, weiß ich, dass Sie mich schnell wieder hochziehen werden.«
»So schnell, dass Sie glauben, mit einem Aufzug unterwegs zu sein. Versprochen, Sir.«
»Gut. Dann wollen wir keine Zeit verschwenden.«
Archer trat auf die Spitze der Kuppel und blickte in das dunkle Loch. Die Vorarbeiter hatten das Glasdach zerschlagen und die scharfkantigen Ränder geglättet. Der Boden rings um den Meteoriten war mit Glassplittern übersät. Der Stein selbst glühte in allen möglichen Grüntönen. Er sah tatsächlich aus wie ein Stern. Archer hätte lügen müssen, wenn er behauptet hätte, ihm wäre in diesem Moment nicht mulmig zumute gewesen. Er hielt sich selbst für ziemlich abgebrüht, aber mittlerweile hatte er so viele Geschichten über diesen Brocken gehört, dass er bereit war, alles zu glauben.
Er borgte sich Ruperts dicke Lederhandschuhe und umwickelte seine Arme bis hoch zum Ellenbogen mit Stoffbandagen. Auch seine Stiefel und Waden präparierte er auf diese Weise. Er hatte keine Lust, dass eines dieser kleinen grünen Dinger in seine Haut sauste. Die Vorstellung, von innen aufgefressen zu werden, war mit das Schrecklichste, was er sich vorstellen konnte. Er zog seine Lederjacke an und ließ sich von Rupert das Seil um den Bauch binden.
Es war so weit. Er ergriff ein weiteres Seil mit vier Schlaufen, trat an den Rand des Lochs und nickte dem Dockarbeiter zu.
»Kann losgehen.«
Rupert drehte an der Winde und das Seil wurde schlaffer. Archer ließ sich nach vorn kippen und schwebte irgendwann frei in der Luft. Stück für Stück sank er tiefer. Das Objekt warf ein geheimnisvolles Licht in den Raum. Er war einfach wunderschön. Wie eine grüne Oase inmitten einer kargen Wüste. Der pechschwarze
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