Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
all the ways to Dublin,
Whack-fol-lol-de-ra.
Das Tempo war auf dem Höhepunkt angelangt, die Melodiebögen rasant. Patricks Finger flogen nur so über die Saiten.
In diesem Moment passierte es.
Max war gefährlich nah an die Dachkante gekommen. Er blieb mit dem Fuß am Blechrand hängen und kam aus dem Tritt. Wild mit den Armen rudernd, versuchte er den Sturz aufzuhalten, aber es war zu spät. Er sah Boswells Lächeln gefrieren, sah, wie er seine Augen aufriss, dann verlor er das Gleichgewicht. Wie in Zeitlupe kippte er nach hinten.
Plötzlich schnellte eine kräftige Hand vor, packte ihn und hielt ihn fest. Wilson.
Max hatte ihn nicht kommen sehen, es war zu schnell gegangen. Er fühlte einen kurzen Schmerz im Arm, sah die kräftige Pranke um sein Handgelenk, dann spürte er wieder Boden unter den Füßen.
Die Musik hatte ausgesetzt.
Alle sahen ihn entgeistert an.
Harry war der Erste, der seine Sprache wiederfand. »Großer Gott, Max. Um ein Haar hättest du dir den Hals gebrochen. Ich hatte dich noch gewarnt.«
»Und ich Idiot habe nicht darauf gehört.« Max wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er war mit einem Schlag wieder nüchtern geworden. Nur seine Beine wollten nicht mehr so recht. Er taumelte in die Mitte des Zuges, dann setzte er sich hin.
Harry war sofort bei ihm. »Alles klar mit dir?«
»Ja, geht schon. Ich muss nur kurz zu Atem kommen.« Max sah sich nach seinem Retter um. Sir Wilson stand direkt neben ihm, die Sonne in seinem Rücken. Max musste blinzeln, als er zu ihm emporblickte. Im Gegenlicht konnte er das Gesicht des Meteoritenjägers kaum erkennen. Nur das silberne Auge schimmerte matt daraus hervor.
»Danke«, sagte Max. »Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben. Ich stehe in Ihrer Schuld.«
»Gern geschehen«, sagte Wilson mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Vergessen Sie das nicht gleich wieder, wenn Sie mir das nächste Mal hinterherspionieren.«
31
Es war kurz nach zehn am folgenden Tag, als Oskar und die anderen den Weg zur Westflanke des Tafelbergs einschlugen. Jeder von ihnen hatte ein Maultier dabei, das zwei Satteltaschen mit Wasser und Proviant trug. Der Abschnitt war steil und mit Schotter und Geröll übersät, und sie mussten absteigen und die Tiere an der Leine führen.
Oskar und Humboldt schwiegen, während die beiden Frauen von dem vorangegangenen Abend und den interessanten Gesprächen mit dem Prior redeten. Sie sprachen leise und ihre Stimmen waren kaum mehr ein beruhigendes Plätschern im Hintergrund. Als sie eine kleine Anhöhe erreichten, konnten sie in das dahinterliegende Tal schauen. Die Steilwand des Tafelbergs ragte in ihrer vollen Höhe vor ihnen auf. Die Wand war glatt und unbezwingbar. Oskar fiel es schwer, die Proportionen zu erfassen, weil es keinerlei Anhaltspunkte für das Auge gab. Allenfalls eine Gruppe von Palmen, die unten in ihrem Schatten kauerte, ließ ihre unglaubliche Höhe erahnen. Wie einsam es hier war. Fast, als wären sie völlig allein. Nur der Ruf eines Raubvogels hallte zu ihnen herüber.
»Unglaublich, oder?« Charlotte beschirmte ihre Augen mit der Hand. »Wie aus einer anderen Zeit.« Ihre Wangen waren gerötet und mit Schweiß bedeckt. Oskar warf ihr einen zaghaften Blick zu und musste lächeln. Da war sie wieder, die Charlotte, die er so liebte. In Wanderschuhen, Kniebundhosen und mit einem Sonnenhut. Welch ein Unterschied zu der schnippischen jungen Dame aus Berlin!
»Irgendwo in diesem Abschnitt soll laut Bellheims Tagebuch ein Weg existieren«, sagte sie und deutete nach oben. »Erkennen kann ich allerdings nichts.«
»Laut Tagebuch ist es ein Geheimweg«, sagte der Forscher.
»Sein Eingang soll nicht einfach zu finden sein. Allerdings hat Bellheim eine Beschreibung hinterlassen. Sie ist ziemlich verschlüsselt. Hoffen wir, dass wir damit weiterkommen. Lasst uns zur Felswand gehen und unser Glück versuchen.«
Die Suche nach dem geheimen Pfad gestaltete sich schwieriger, als sie erwartet hatten. Wie Humboldt gesagt hatte, waren die Angaben verschlüsselt. Warum, das wusste niemand. Vielleicht, um den genauen Standort zu verbergen, falls das Buch verloren ging oder es Bellheim gestohlen wurde.
Nachdem sie eine halbe Stunde damit verbracht hatten, die Felswände nach irgendwelchen Rissen, Spalten oder Stufen abzusuchen, gab Humboldt das Zeichen zur Rast.
»Das hat so keinen Sinn«, sagte er. »Wir müssen mit dem Kopf arbeiten, nicht mit den Füßen. Lasst uns noch mal einen
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