Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Haut war gemustert und von stumpfer grauer Farbe. Kleine Schuppen lösten sich davon ab und rieselten zu Boden. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Eliza das Wesen an. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Schreckliches gesehen zu haben. Als es sein Maul aufriss und eine Reihe scharfkantiger Zähne entblößte, schrie sie.
Oskar sprang auf. Das war kein normaler Schrei gewesen, das war nacktes, pures Entsetzen. »Eliza«, flüsterte er, dann rannte er los.
Er stürmte aus dem Kartenraum den Gang entlang, nahm immer zwei Stufen auf einmal und eilte die Treppen hoch. Das Oberdeck war leer. Niemand zu sehen. Aber die Tür zum Achterdeck stand offen. Oskar rannte hinüber und betrat das Frauenquartier.
Eliza lag auf ihrem Bett. Sie war nicht allein. Charlotte und Lena standen mit besorgten Gesichtern um sie herum, während Humboldt auf der Bettkante saß und ihr über die Stirn strich.
»Was ist passiert?«, fragte Oskar. »Was ist mit ihr?«
Humboldt drehte sich um. »Hol uns einen Krug Wasser. Schnell.«
Oskar nickte und eilte zurück in Richtung Kombüse.
Auf der Treppe begegnete er Lilienkron. Er trug Wilma auf dem Arm. »Was ist denn los? Ich habe einen Schrei gehört.«
»Irgendetwas mit Eliza«, sagte Oskar. »Vielleicht hatte sie eine Vision. Ich muss ihr etwas Wasser holen.«
»Madam Molina hat Visionen?«
»Ja, ja, aber jetzt lassen Sie mich endlich vorbei. Eliza braucht etwas zu trinken.«
Keine fünf Minuten später waren alle um Eliza versammelt. Humboldt hatte sein Taschentuch hervorgeholt und benetzte es mit der Flüssigkeit. Eliza war bereits bei Bewusstsein, wirkte aber noch angeschlagen. Er legte das kühle Tuch auf ihre Stirn.
»Wisst ihr, worüber sie sich so aufgeregt hat?«
Charlotte schüttelte den Kopf. »Vermutlich ein böser Traum. Sie war fest eingeschlafen und hat sich dabei hin und her gewälzt. Irgendwann fing sie an, ganz fürchterlich zu stöhnen. Ich bin zu ihr hin und wollte sie wecken, aber es ging nicht. Es wurde immer schlimmer. Plötzlich richtete sie sich kerzengerade auf und schrie wie am Spieß.«
»Haben wir gehört«, sagte Oskar.
»Was sind das für Visionen?«, erkundigte sich Lilienkron.
»Es ist eine Gabe«, sagte Oskar widerwillig. »Oft handeln ihre Träume von Dingen, die entweder schon passiert sind oder die erst noch geschehen werden. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischen sich bei ihr und häufig dauert es eine Weile, bis wir herausbekommen, was dahintersteckt. Aber eines ist sicher: Sie bedeuten immer etwas.«
Eliza hustete und richtete sich auf. Humboldt reichte ihr ein Glas Wasser und sie trank mit gierigen Schlucken. Als ihr Blick auf Lilienkron fiel, stutzte sie. Sie hob ihre Hand. »Kommen Sie«, flüsterte sie.
Alle blickten erstaunt auf den Gelehrten.
Lilienkron beugte sich vor. »Kann ich Ihnen helfen, Gnädigste?«
Elizas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Sie armer Mann. Was Sie durchgemacht haben …«
Auf Lilienkrons Stirn zeichneten sich tiefe Falten ab.
»Was meinen Sie?«
»Die Schlucht. Ich war da unten. Ich habe sie gesehen … die grauen Felsen, die rote Erde und diesen verfluchten Nebel.« Ihr Blick irrlichterte in der Gegend herum. »Er war gelb und versperrte mir die Sicht. Da war eine Gestalt. Sie war groß. Größer als ein Mensch. Sie hatte Hörner und dunkelrote Augen. Ihre Haut war grau und schuppig wie die Oberfläche eines verwitterten Steins. Und als sie das Maul aufriss …«
»Schweigen Sie«, stieß Lilienkron aus. »Bitte … kein Wort mehr.« Sein Gesicht war aschfahl geworden. Kerzengerade stand er da. »Woher … woher wissen Sie das …?«
»Ich habe es gesehen. In meinem Traum. Und es war schrecklich. Aber da war noch etwas anderes. Ich habe einen Eingang gesehen. Er führte in die Tiefe. Irgendetwas ist dort unter der Erde. Es ist mächtig und wird mit jedem Tag mächtiger und es wartet darauf, hochzukommen.«
Lilienkron trat zwei Schritte zurück, dann drehte er sich abrupt um und stürmte aus dem Quartier.
Der Herrscher in seiner Halle aus Stein atmete schwer. Die Erschütterung, die er neulich gespürt hatte, war kein zufälliges Ereignis gewesen, dessen war er jetzt gewiss. Vielmehr war es eine Ankündigung kommender Ereignisse. Ein Flüstern und Raunen, als ob die Erde selbst zu ihnen sprechen würde. Auch sein oberster Berater war dieser Meinung. Gemeinsam hatten sie lange Stunden verbracht und über das geredet, was die Zeichen bedeuten
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