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Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Titel: Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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die sechstgrößte Insel der Welt.
    »Ein atemberaubender Anblick«, sagte Humboldt. »Wusstet ihr, dass hier einst der Vulkan Toba stand, der um ein Haar die gesamte Menschheit ausgerottet hätte?«
    »Wie meinst du das?«, fragte Oskar.
    »Der Berg ist vor ungefähr vierundsiebzigtausend Jahren explodiert«, fuhr Humboldt fort. »Damals wurde so viel Asche und Staub in die Lufthülle geblasen, dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde für sechs Jahre um ungefähr zehn Grad sank. Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Das Pflanzenwachstum verzögerte sich, freies Wasser wurde in Form von Eis gebunden und riesige Gebiete wurden von Gletschern überrollt. Der Ausbruch des Toba gilt nach heutiger Sicht der Dinge als Auslöser für die Würm- und Weichsel-Kaltzeiten, bei denen ganz Europa unter Eis und Schnee versank.«
    »Ist das dein Ernst?« Oskar war schockiert. Das war das erste Mal, das er davon hörte.
    »Der Homo erectus, der sich damals bis Indien und Südostasien ausgebreitet hatte, verschwand, weil der Subkontinent mit einer fünfzehn Zentimeter dicken Ascheschicht überzogen wurde«, fuhr Humboldt fort. »Sein Aussterben schuf Platz für unseren Vorfahren, den Homo sapiens. Er lebte damals nur in geringer Anzahl in Afrika und konnte sich nach der Katastrophe über die ganze Welt ausbreiten. So kann ein einzelnes Naturereignis den Verlauf der gesamten Erdgeschichte beeinflussen.«
    »Ich halte das für Unsinn«, sagte Lilienkron. »Die Erdgeschichte ist keine Abfolge einzelner Katastrophen, sondern ein langsamer und fortwährender Prozess. Wir müssen aufhören, immer nur in Einzelepisoden zu denken.«
    »Und was ist mit den Bohrkernen, die Landstrøm aus dem immerwährenden Eis der Arktis geholt hat? In ihnen ist die Ascheschicht des Vulkans deutlich zu erkennen. Die Zeitenwende lässt sich dort genauestens ablesen.«
    Lilienkron stieß ein abfälliges Lachen aus. »Sind Sie Landstram schon mal begegnet? Ich schon, auf einem Kongress in Prag.« Er tippte mit seinem Finger an die Stirn. »Völlig durchgedreht. Wenn Sie mich fragen, dem ist die Kälte zu Kopf gestiegen. Oder der Wodka. Kein Mann, den man ernst nehmen könnte.«
    »Sie irren sich«, sagte Humboldt. »Die Glaziologie steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber sie ist eine Wissenschaft, die auch bei uns bald Einzug halten wird. Doch es führt zu nichts, wenn wir uns hier die Köpfe heißreden, während dringendere Probleme anstehen. Wenn wir auf der Höhe von Sumatra sind, bedeutet das, dass wir mit den Landevorbereitungen beginnen müssen. Sind Sie einverstanden, dass wir die Diskussion auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?«
    »Na schön. Auch wenn ich glaube, dass Sie sich nur vor einem ernsthaften Disput drücken wollen. Aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen, wenn Sie mir versprechen, dass wir über dieses Thema noch einmal reden.«
    Humboldt senkte seine Brauen. »Sie haben mein Wort darauf.«
    »Seht mal, dort unten ist eine Meerenge«, rief Oskar. »Ich kann Schiffe erkennen.«
    »Das ist die Sundastraße«, sagte Humboldt. »Sie trennt Sumatra von Java und ist gerade mal dreißig Kilometer breit. Wenn ihr nach rechts schaut, könnt ihr eine kleine Ansammlung von Inseln erkennen. Das ist Krakatau – oder das, was davon übrig geblieben ist.« Er reichte Oskar sein Fernrohr.
    Die Insel bestand nur noch aus Bruchstücken. Wie ein kariöser Backenzahn, der aus dem Wasser ragte. Was für eine Kraft musste nötig sein, um eine Insel in so etwas wie das da zu verwandeln?
    »Wie lange werden wir denn noch fliegen?«, fragte Lena.
    Humboldt deutete nach Süden. »Da drüben ist Batavia. Dort, wo die Nordküste einen kleinen Knick macht, siehst du? Ich schätze, in einer halben Stunde sind wir da. Zeit genug, alles aufzuräumen und klar Schiff zu machen. Wir wollen doch einen guten Eindruck machen, wenn wir dort eintreffen. Jeder weiß, was er zu tun hat? Gut, dann an die Arbeit.«
     

     
    Generalgouverneur Poortvliet war gerade damit beschäftigt, sein Kinn mit einem Dachshaarpinsel einzuseifen, als es heftig an die Tür klopfte.
    »Herein.«
    Ein rotes Gesicht mit schweißglänzenden Wangen erschien.
    »Bitte verzeiht die Störung, Exzellenz!«
    »Hallo, Marten. Komm rein. Ich wollte mich gerade rasieren. Was gibt es?«
    Marten de Vries war ein übergewichtiger Mann mit kugelrundem Kopf und Sommersprossen auf der Nase. Sein kurz geschorenes blondes Haar spross wie Weizen aus der Kopfhaut. Seine Kurzatmigkeit und sein

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