Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
recht hatte. Umso mehr, als er wusste, wie sehr dem Forscher solche Gedankengänge widerstrebten. Humboldt war ein rational denkender Mann, der alles Übernatürliche ausschloss. Zuzugeben, dass sein Rivale Konrad Lilienkron vielleicht doch recht gehabt hatte, musste ihn eine ziemliche Überwindung kosten.
»Und was hat das mit dem verschwundenen Gold zu tun?«, fragte Eliza mit gerunzelter Stirn. »Die Schatzkammer war doch leer.«
»Das war sie«, erwiderte Humboldt. »Und trotzdem glaube ich, dass das Gold noch existiert.«
»Hast du einen Beweis für deine Theorie?«, fragte Oskar.
Sein Vater wiegte den Kopf. »Sagen wir mal, ich habe einen Anhaltspunkt. Aber es wäre zu früh, darüber zu sprechen. Wenn das Gold wirklich noch existiert, hätten die Anak allerdings einen Grund, zornig zu sein.«
Oskar nickte. »Schön und gut, aber wir haben jetzt andere Probleme. Lena soll geopfert werden und wir sitzen hier und reden von alten Legenden. Wir sollten lieber überlegen, wie wir hier rauskommen.«
»Du hast ja recht«, sagte Humboldt. »Aber im Moment sind uns die Hände gebunden, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe schon versucht, die Fesseln abzustreifen, bin aber gescheitert. Wie sieht’s bei euch aus?«
»Fehlanzeige«, sagte Oskar. »Die Leute hier verstehen etwas vom Knotenbinden, so viel ist mal sicher.«
»Warum ausgerechnet Lena?«, fragte Charlotte. »Sie war von uns allen die Jüngste.«
»Vielleicht genau deshalb«, sagte Humboldt. »Je jünger, desto unschuldiger. Außerdem hat sie ja diese flammend roten Haare. Das hat bestimmt Eindruck gemacht.«
»Was sie jetzt wohl mit ihr machen?«, fragte Charlotte.
»Vermutlich werden sie einen Opferplatz in der Nähe der Schlucht anlegen und warten, bis die Steinernen herauskommen«, sagte Humboldt. »Das machen sie immer so, hat Dimal gesagt. Sie stellen einen Pfahl auf und binden die Jungfrauen daran fest. Dann warten sie, bis es dunkel wird.«
»Ich frage mich auch, was wohl aus uns wird«, sagte Eliza. »Laufen lassen können sie uns nicht, dafür stellen wir eine viel zu große Gefahr dar.«
»Wieso das?«, fragte Charlotte mit sorgenvollem Blick.
»Überleg mal«, erwiderte Eliza. »Die Gefahr, dass wir zu Poortvliet gehen und ihm alles erzählen, ist viel zu groß. Bhamban kann eigentlich nichts anderes tun, als uns einzusperren. Am besten in irgendein dunkles, abgeschiedenes Verließ, aus dem wir nie wieder herauskommen. Ich denke, morgen früh werden wir es wissen.«
»Das hieße, uns bliebe noch etwas Zeit«, sagte Oskar.
Humboldt neigte den Kopf. »Zeit wofür? Wir können Lena nicht retten, wir sind gefangen. Hast du das vergessen?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Oskar. »Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Irgendetwas wird uns schon einfallen. Uns ist bis jetzt immer etwas eingefallen.«
»Die Zuversicht der Jugend«, sagte Humboldt mit traurigem Lächeln. »Manchmal wünschte ich, ich wäre wieder so jung wie du und könnte diese Zeit noch einmal erleben.«
Ein unheilvolles Schweigen erfüllte die Hütte.
Mitten in die Stille hinein erklang mit einem Mal ein Kratzen. Ein Scharren und Wühlen, wie von einem kleinen Tier.
Die Gefangenen sahen sich an. Keiner hatte eine Ahnung, was das war. Oskar riss die Augen auf. Direkt neben ihm erschien ein heller Punkt am Boden. Seltsame Lichtreflexe huschten über die Erde. Ein langer, dünner Stängel, wie ein gekrümmter Zweig, zuckte hin und her. Oskar hörte ein Schnaufen und Wühlen, während das Loch rasch größer wurde. Irgendetwas wollte mit großer Zielstrebigkeit zu ihnen herein. Ihm war die Sache unheimlich. Er rückte ein Stück weg und sah, wie sich ein dunkler Schatten durch die Öffnung quetschte. Kleiner Kopf, stumpfer Körper, große Füße. Es war …
»Wilma«, entfuhr es Oskar.
Der Vogel hopste in die Mitte der Hütte und schüttelte sich. Steinchen und Erde flogen umher. »Komme zum Retten«, sagte sie. »Bringe Botschaft.«
»Botschaft? Was für eine Botschaft?«
Die Kiwidame neigte ihren Kopf und blickte sie aus unergründlichen schwarzen Knopfaugen an. Dann fing sie an zu sprechen.
27
Es war Abend, als rings um den Bromo leuchtende Punkte aufflammten. Herdfeuer, Holzscheite, Fackeln. Dazwischen Hunderte von Talglichtern, die im abendlichen Wind unruhig hin und her flackerten. Sie ließen den Berg aussehen wie ein finsteres Schiff, das durch einen Teppich aus leuchtendem Plankton pflügte. Die Menschen waren auf dem
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