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Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Titel: Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Wirtshaus.
    Humboldt und Oskar tauchten aus ihrem Versteck auf.
    Oskar hatte ein merkwürdiges Gefühl. Was suchte Willi denn hier? Die Kneipe war das Hauptquartier Behringers, des größten Blutsaugers, den diese Stadt jemals gesehen hatte. Pfandleiher, Erpresser, Schläger, Bandenchef, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Oskar hatte früher für ihn gearbeitet, alle hatten das. Auch Willi. Sie hatten Passanten um ihre Wertsachen erleichtert, Taschendiebstähle und kleinere Einbrüche begangen, nur um hinterher alle Wertsachen bei Behringer abzuliefern. Keine Ahnung, wie viel sie in dieser Zeit zusammengetragen hatten, aber es war gewiss ein kleines Vermögen gewesen. Behringer hatte ihnen im Gegenzug eine Bude besorgt und ihnen über die Runden geholfen, wenn die Geschäfte gerade mal nicht so gut liefen. Natürlich nur, solange der Rubel danach wieder rollte. Behringer tat nichts aus reiner Menschenliebe. Solange man für ihn anschaffte, war man sein bester Freund, aber wehe, man strapazierte seine Geduld. Dann hagelte es zuerst Drohungen, später Schläge. Oskar strich über sein Kinn. Er hatte nicht vergessen, wie Behringer ihn vermöbelt hatte.
    Doch das lag lange zurück. Oskar hatte seine Schulden abbezahlt und gehofft, nie wieder etwas von diesem Drecksack zu hören. Und als Humboldt seine Freunde Willi, Bert, Maus und Lena in seinem Haus aufgenommen hatte, waren auch sie Behringers Einfluss entkommen. Was zum Teufel wollte Willi hier?
    Â»Gehen wir rein?«
    Humboldt nickte.
    Es war ein komisches Gefühl, seine alte Wirkungsstätte zu betreten, besonders unter diesen Voraussetzungen. Der Geruch von Bier, Rauch und Schweiß schlug ihm entgegen. Auch die Wärme und die Enge waren vertraut: das über die Jahrzehnte vom Rauch nachgedunkelte Holz, die flackernden Kerzen, die fettglänzenden Ölbilder in ihren wurmstichigen Rahmen und natürlich der schwere Ledervorhang, der den hinteren Teil der Wirtschaft von der vorderen Schankstube trennte.
    Trotz Staatskrise war der Laden brechend voll. Oskar hatte keine Ahnung, woher diese vielen Menschen immer kamen. Egal ob morgens, mittags oder abends, im Holzfäller war immer was los. Künstler tummelten sich hier, Dichter, Arbeitslose, Heimatlose, Penner, Schmarotzer, Stammtischpolitiker und natürlich Spieler. Es wurde geschimpft, gelacht, politisiert, Skat geklopft, auf die Obrigkeit geschimpft und vor allem getrunken. Paul, der Wirt, war eine Instanz in diesem Teil der Stadt. Ein glatzköpfiger Mann mit einem Bauch, der so gewaltig war, dass seine Lederschürze wie eine zweite Haut darüber spannte. Paul war selbst sein bester Kunde. Immer freundlich, immer durstig und berüchtigt für seine gnadenlos schlechten Witze. Als Oskar und Humboldt den Holzfäller betraten, gab er gerade einen seiner Lieblingskalauer zum Besten. Den mit dem Friseur und dem schwatzhaften Papagei. »Einäugiger Wichser«, hörte Oskar ihn krakeelen, sehr zur Freude einiger Gäste, die diesen Witz offenbar noch nicht kannten.
    Â»Wo ist Willi hingegangen?« Humboldt stand im Eingang und blickte in die Runde.
    Â»Keine Ahnung, ich sehe ihn gerade nicht«, sagte Oskar. »Vielleicht in den hinteren Teil, dort, wo die Vorhänge sind, siehst du?« Er deutete nach rechts.
    Humboldt ließ seinen Blick über die Köpfe der Anwesenden schweifen. Bis auf zwei Ausnahmen war er die größte Person im Raum. Der eine war ein Mann namens Gregor, der bei den hiesigen Müllkutschern arbeitete und immer etwas streng roch. Der andere war ein alter Bekannter: der Schwarze Fährmann, Behringers rechte Hand. Er stand bei einigen anderen finster aussehenden Gesellen, die allesamt zu Behringers Truppe gehörten. Als er sie bemerkte, erstarb sein Lächeln. Mit heruntergezogenen Mundwinkeln verschwand er hinter dem Vorhang.
    Für einen kurzen Moment meinte Oskar, Willis grüne Jacke gesehen zu haben. Dann ist es also wahr, schoss es ihm durch den Kopf. Willi hatte sie verraten. Aber warum? Was hatten sie ihm angetan, dass er einen solch großen Vertrauensbruch beging?
    Der Forscher zögerte keine Sekunde. Er packte seinen Gehstock und pflügte durch die Menschen wie ein Panzerschiff durchs Treibeis. Paul bemerkte sie und rief: »He, ihr da, da geht’s nicht lang. Geschlossene Gesellschaft. Habt ihr nicht gehört, geschloss… Ja, da laust mich doch der Affe. Oskar! «
    Viele

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