Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
gilt.«
»Immer wenn ick denke, ick hättâs verstanden, zieht es mir wieder die FüÃe weg«, sagte Maus. »Da bekommt man ja ân Knoten im Hirn, wenn man darüber nachdenkt.«
»Dann glaubst du, dass Heron tatsächlich Der Erste ist?«, fragte Lena.
Humboldt nickte. »Mittlerweile ist mir klar geworden, dass alles einen Sinn ergibt. Unser kleiner Freund hier wird in die falschen Hände geraten und eine entscheidende Rolle in den zukünftigen Kriegen spielen. Irgendwelche skrupellosen Geschäftemacher werden ihn nachbauen und daraus eine neue Generation von Kriegsmaschinen herstellen, die letztlich den Untergang der Menschheit bedeuten. Das kann und werde ich nicht zulassen.«
Charlotte runzelte die Stirn. »Und was willst du dagegen machen?«
Humboldt stieà ein verhaltenes Räuspern aus. »Morgen früh, am Dienstag, den 22.  Juni 1895, werde ich die Geschichte verändern. Ich werde das Zeitschiff besteigen und an einen bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit zurückreisen und dort eine Veränderung herbeiführen, die, wie ich glaube, die Ereigniskette durchbrechen und zu einem veränderten Ablauf der geschichtlichen Ereignisse führen wird. Ich tue das entgegen meiner Ãberzeugung. Trotzdem halte ich den Schritt für unumgänglich.«
Es wurde still. Nur das Ticken der Uhr und das Plätschern des Regens drauÃen waren zu hören.
Charlotte glaubte sich verhört zu haben. Hilfe suchend blickte sie zu den anderen, doch in deren Gesichtern war ebenfalls nur Verwirrung zu lesen.
»Du willst was ?«
»Ich werde die Geschichte ändern«, sagte der Forscher. »Natürlich kann ich nicht garantieren, dass sich alles zum Guten wendet, aber ich hoffe doch sehr, dass meine Berechnungen stimmen und wir unterm Strich ein positives Endergebnis erhalten werden.« Er blieb vor dem Fenster stehen und blickte dem davonziehenden Gewitter hinterher. »Durch Oskars Bericht ist mir ist klar geworden, dass es keine andere Möglichkeit gibt.«
35
C harlotte strich mit dem Finger über ihren Mund. »Unterbrich mich, wenn ich mich irre, aber hast du nicht gesagt, man dürfe niemals â unter keinen Umständen â Veränderungen an der Zeitlinie vornehmen? Ich war selbst dabei, als du gesagt hast, dass die Gefahren einer Zeitreise darin bestehen, dass wir nicht in der Lage wären abzuschätzen, welches Ereignis welche Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte hat. âºDas Gerüst der Zeit ist etwas, an dem man nicht leichtfertig herumpfuschen darfâ¹, das waren deine Worte. âºZieht man eine Karte aus dem Kartenhaus, bricht das ganze Gebäude zusammen.â¹Â«
»Das war, ehe mir klar wurde, dass die bloÃe Erschaffung meines Zeitschiffes die Ereignislinie bereits verändert hat. AuÃerdem liegt die Betonung auf dem Wort leichtfertig . Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nur ein Ereignis ändern müssen, damit die Geschichte zum Positiven verändert wird.«
»Und welches Ereignis wäre das?«
Humboldt hob sein Kinn. »Die Ermordung des Kaisers.«
Charlotte hielt den Atem an. »Die Ermordung des â¦Â«
»Kaisers, ganz recht. Seht hier.« Humboldt ging zu der Tafel hinüber und wischte mit einem Lappen die Lateinvokabeln der letzten Stunde fort. Dann griff er nach der Kreide und zog einen langen Strich von links nach rechts. In unregelmäÃigen Abständen machte er kleine Querstriche, sodass das Ganze anfing, wie eine Notenpartitur auszusehen.
»Stellt euch vor, das hier ist unser Zeitstrahl. Vom Anbeginn der Zeit bis zum Ende der Welt fortlaufend in einer ungebrochenen Linie. Es gibt keine Abzweigungen, keine Unterbrechungen, keine Verzögerungen. Die Zeit läuft immer gleich ab, kontinuierlich, unaufhaltsam. Die Vergangenheit liegt links, die Zukunft rechts. Wir befinden uns hier.« Er machte ein Häkchen in der Mitte des Zeitstrahls und schrieb mit der für ihn typischen Krakelschrift Gegenwart darunter. Dann machte er ein zweites Häkchen und benannte es Attentat . »Der Kaiser wurde am 5.  Juni ermordet, etwa hier. Fast gleichzeitig erschien in der Berliner Morgenpost der Artikel über unser Zeitschiff. Danach fingen die Dinge an, aus dem Ruder zu laufen. Unruhen in der Stadt, Wiedereinsetzung des Sozialistengesetzes, Einberufung einer Militärregierung, der Anschlag und die Ermordung Elizas. Lauter
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