Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
Morgenpost hat während eures Interviews seinen Assistenten in dein Labor geschickt. Er weiÃ, woran du gerade baust, und er wird es veröffentlichen. Du musst es ihm untersagen, kümmere dich darum. Niemand darf jemals von deiner Erfindung erfahren.
Lieber Carl Friedrich, ich will dir nicht verheimlichen, dass dies eine Reise ohne Rückfahrschein ist. Wenn du versagst, dann versagen wir alle. Scheitert ihr, scheitert die Menschheit. Du hast viele Länder bereist und viele Abenteuer erlebt, doch dies ist bei Weitem deine wichtigste Mission.
Enttäusche mich nicht. Ich glaube an dich.
Dein Carl Friedrich
Humboldt lieà den Brief sinken. Er war bleich geworden. Sein Mund war schmal und zitterte ein wenig, doch es kam kein Laut über seine Lippen. Den anderen erging es nicht anders. Was dort geschrieben stand â geschrieben von des Forschers eigener Hand â, war mehr, als sich auf einen Schlag verdauen lieÃ.
Das brauchte Zeit.
Die restlichen beiden Blätter waren eng beschrieben mit Anweisungen, Tipps und Hinweisen sowie Nummern, die auf bestimmte Skizzen hinwiesen. Das alles zusammen ergab einen Plan, der bis ins Kleinste ausgetüftelt war und keine Fragen offenlieÃ. Das Ereignis würde morgen stattfinden. Worum es dabei ging, war kein groÃes Geheimnis. Es sprang ihnen in Form eines Zeitungsausschnittes, datiert vom Montag, den 7.  Juni förmlich entgegen. Kaiser Wilhelm der Zweite ermordet , stand da zu lesen. Abscheuliches Attentat auf das Kaiserpaar geht vermutlich auf das Konto der Sozialisten.
»Der Anschlag soll morgen, Punkt zehn Uhr auf den Stufen des Neuen Museums, anlässlich der feierlichen Eröffnung der Pergamon-Ausstellung stattfinden«, sagte Charlotte. »Das also ist das groÃe Ereignis. Der erste Stein in der Kette. Der Auslöser, der zum Untergang der Menschheit führen wird. Und wir sollen es verhindern.«
»Der andere ist dieser hier.« Charlotte zog einen kurzen Artikel unter dem anderen hervor. »Hört zu: Baut Carl Friedrich von Humboldt an einer Zeitmaschine? Kann er das Attentat auf unseren geliebten Kaiser rückgängig machen? Ein Bericht von Sonderreporter Fritz Ferdinand .«
»Was?«, rief Humboldt. »Gib mal her.« Er schnappte sich den Artikel und überflog ihn mit gesenkten Brauen. »Das ist ja ⦠das ist ungeheuerlich. Was denkt sich dieser Reporter nur dabei? Wir hatten eine Abmachung â¦Â«
Oskar spürte, wie ihm der Kopf schwirrte. Er musste sich setzen. »Dieser Brief stammt also wirklich aus der Zukunft?«, stammelte er. »Und du hast ihn selbst geschrieben und bist mit einer Zeitmaschine zurückgereist, um ihn deinem jetzigen Ich zustellen zu lassen?«
»Gib mir noch mal das Buch, das in der Mappe lag.«
Oskar nickte, zog einen Stuhl heran und fischte mit zittrigen Fingern das Buch aus dem Stapel von Dokumenten. Humboldt schlug es an einer beliebigen Stelle auf. Die Seite war datiert vom 28.  Mai 2015 und trug die Ãberschrift: Kanzlerin Merkel befiehlt Erhöhung der Berliner Mauer um weitere zwanzig Meter.
Und darunter:
Der massive Beschuss französischer Truppen zu Beginn dieses Monats hat den Festungswall sowohl am Ernst-Reuter-Platz als auch an einigen anderen Stellen der Westflanke empfindlich geschwächt. Vor dem Militärrat sprach sich die Kanzlerin für eine Aufstockung des Wehretats sowie eine Erhöhung der Mauer aus. »Berlin als Bastion des Rechts und der Freiheit darf nicht in die Hände der Franzosen fallen«, so die Kanzlerin. »Mag das Land auch zunehmender Dunkelheit anheimfallen, Berlin ist und bleibt ein Leuchtfeuer des Rechts und Anstands. Wir bieten den freien Ländern dieser Welt Ansporn und Hoffnung. Schon allein deshalb gilt es, unsere geliebte Heimat um jeden Preis zu schützen.«
Die Erhöhung des Stadtwalls auf eine Höhe von sechzig Metern wäre die dritte BaumaÃnahme dieser Art seit Beginn des Krieges. Vielen Bürgern wird diese Entscheidung Hoffnung spenden. Doch ob diese mittelalterliche Form der Verteidigung den Bau immer gröÃer werdender Kriegsmaschinen aufhalten oder zur Beendigung des Konfliktes zwischen Russland, Frankreich und Deutschland beitragen kann, darf bezweifelt werden.
Ein zweiter Bericht, datiert vom 15.  November 2020, präsentierte eine Meldung, die zwar nicht ganz so spektakulär, aber auf ihre Art nicht minder besorgniserregend
Weitere Kostenlose Bücher