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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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eine ziemlich unheimliche Beschäftigung ausgesucht hatte: nämlich die Überprüfung seiner eigenen Normalität, und das kurz nach Mitternacht. Er hatte des Öfteren solche Dinge getan – Dinge, an die diese Situation ihn erinnerte –, als er zwölf Jahre alt war und mit einer Taschenlampe bewaffnet im Garten schlief oder ganz allein wach blieb und sich Monsterfilme ansah.
    Hier war nur das Haus. Wahrscheinlich sicher. Aber kaum beruhigend.
    Er fand einen Sender in Seattle, die die ganze Nacht Comedy-Serien wiederholte. Er richtete es sich auf dem Sofa häuslich ein und hoffte, dass das Koffein ihn wach halten würde. Das tat es auch, oder zumindest machte es ihn reizbar. Und in dieser Stimmung erinnerte er sich an die Lebensphilosophie seines Vaters: Die Welt ist ein kalter, gleichgültiger Ort und dem Menschen nicht besonders wohlgesonnen. Vielleicht war das ein Irrtum. Vielleicht sollte er lieber zu Bett gehen, die Elfen ihre Hausarbeit erledigen lassen und das Haus wieder zum Verkauf freigeben. Kein Gesetz verlangte von ihm, der Jacques Cousteau des Übernatürlichen zu werden. Das war es sicherlich nicht, weshalb er es gekauft hatte.
    Aber vielleicht war an der ganzen Sache überhaupt nichts Übernatürliches. Etwas Seltsames, aber doch Erklärbares konnte hier am Werk sein. Irgendeine Bakterienart. Insekten (keine mutierten). Irgendwas. Darauf würde er sein ganzes Geld verwetten.
    Er wollte es nur ganz genau wissen, wollte vollkommene Klarheit.
    Er streckte sich auf dem Sofa aus. Er wollte den Kopf auf die gepolsterte Armlehne betten. Er hatte nicht die Absicht einzuschlafen.
    Er schloss die Augen und begann zu träumen.
    Diesmal begann der Traum ohne Vorspiel.
    Im Traum erhob er sich vom Sofa, ging zum Fenster und schob den unteren Teil hoch.
    Der Mond stand tief am Himmel, doch er warf seinen hellen Schein auf den Garten. Im Traum sah es zuerst so aus, als habe sich nichts verändert. Da waren der Sternenhimmel, der tiefe Schatten des Waldes, der verwitterte Holzzaun, der von Efeu umrankt wurde. Dann sah er, wie das Gras sich im Wind bewegte. Es war eine seltsame kräftige Bewegung – aber es wehte kein Wind. Und Tom begriff, dass nicht das Gras selbst sich bewegte, sondern etwas im Gras – etwas wie viele Insekten, hundert oder mehr, die in einer schlangengleichen Formation vom Haus in den Wald wanderten. Sein Herz setzte einen Schlag aus, und er hatte plötzlich Angst, doch er konnte seinen Blick nicht abwenden oder vom Fenster zurücktreten ... irgendwie war ihm diese Wahlmöglichkeit geraubt worden. Er beobachtete, wie die Schlange der Insektenwesen nach und nach stehen blieb und wie die Kreaturen – und es gab weitaus mehr von ihnen, als er angenommen hatte – sich gleichzeitig zu ihm umdrehten und ihn mit untertassenrunden Augen anstarrten. Dann sagten sie seinen Namen – Tom Winter –, und es war in seinem Kopf wie ein stummer Chor.
    Er erwachte schweißgebadet.
    Der Fernsehschirm flimmerte. Tom stand auf und schaltete ihn aus.
    Seine Uhr zeigte 3:45.
    Die Teller in der Küche waren makellos sauber.
    Er schlief noch vier weitere Stunden in seinem Schlafzimmer bei geschlossener Tür, und am Morgen duschte er und rief Doug Archer an – die Nummer auf der Rückseite seiner Visitenkarte. »Sie wollten, dass ich mich melde, wenn ich etwas Seltsames bemerken sollte.«
    »Das ist richtig ... wird es Ihnen da draußen unheimlich?«
    »Nur ein wenig. So könnte man es nennen.«
    »Nun, Sie haben genau zum richtigen Zeitpunkt angerufen. Ich habe Urlaub. Der Pieper wird gegen Mittag abgeschaltet. Ich hatte eigentlich vor, in die Cascades zu fahren, aber das kann ich verschieben. Was halten Sie davon, wenn ich nach dem Mittagessen vorbeikomme?«
    »Gut«, sagte Tom, aber er machte sich Sorgen bei dem Klang gespannter Vorfreude in Archers Stimme.
    Wenn du davon erzählst, dachte er, dann öffnest du vielleicht eine weitere Tür, die besser geschlossen bleiben sollte – dann vollziehst du vielleicht einen Schritt, der dich der Feststellung deines eigenen Verrücktseins näher bringt.
    Aber war Schweigen etwa besser? Es gab Zeiten – in der vergangenen Nacht zum Beispiel –, da hatte er das Gefühl, als schmore er in dem sauren Saft seiner eigenen Isoliertheit. Nein, er musste mit jemandem darüber reden, der nicht zu seiner Familie gehörte – also nicht mit Tony oder Loreen. Archer wäre genau der Richtige.
    Abgesehen von den Träumen war nichts Bedrohliches geschehen. Ein paar Porzellanteller waren

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