Chronos
Verkäufern bei der Arbeit zuzusehen. Er lernte, wie man potenzielle Käufer begrüßte; er erfuhr, wie ein Angebotsformular aussah; er ließ sich erklären, wie man einen Käufer an den Verkaufsleiter weiterreichte, der dann noch ein paar Dollar zusätzlich aus einem Angebot herausrechnete; dieser brachte den Käufer dann zu den Finanzierungsspezialisten. »Und dort wird das richtige Geld verdient«, erklärte der Verkaufsleiter, Billy Klein, fröhlich.
Der Laden hatte je eine Abteilung für Neu- und für Gebrauchtwagen. Er befand sich an einem geraden, ebenen Stück der Commercial Road zwischen Belltower und den Einkaufszentren der Vororte. Tom erschien das Unternehmen manchmal wie ein gepflasterter Acker, auf dem Schrottmetall wuchs, aber nicht bis zur Ernte gereift war – alles war immer noch glatt und neu. Am Mittwoch wurde es richtig heiß. Die Tage waren lang, und Kunden fanden sich nur spärlich ein. Tom trank Cola aus beschlagenen Flaschen und studierte sein Handbuch im Verkaufsraum. Die meisten Verkäufer machten ihre Pausen in einer Bar namens Healy's ein Stück die Straße hinauf, aber sie tranken verhältnismäßig viel, und Tom hielt sich davon immer noch fern. Zu Mittag lief er über den Blasen werfenden Asphalt zu einem kleinen Steak- und Hamburgerrestaurant mit dem beziehungsreichen Namen The Paradise. Er ging mit seinem Geld sparsam um. Er würde in einem durchschnittlichen Monat allein mit den Provisionen ein annehmbares Einkommen haben, versicherte Klein ihm – vorausgesetzt, er begann bald mit dem Verkaufen. Aber es war diesmal ein ermüdend lahmer Monat. An den Abenden unternahm er Abstecher ins Landesinnere und fuhr durch die dichten, alten Kiefernwälder und dachte über das Geheimnis des Hauses nach. Vielmehr versuchte er, es nicht zu tun.
Zwei Möglichkeiten , flüsterten seine Gedanken immer.
Du bist verrückt.
Oder du bist nicht allein.
Am Donnerstagabend stellte er drei fettige Porzellanteller auf die Ablage neben die Stahlspüle und ging zu Bett.
Am Morgen standen die Teller genau an der Stelle, wo er sie hingestellt hatte – so glatt und sauber wie optische Linsen.
Am Freitagabend benutzte er die gleichen drei Teller und stellte sie genauso hin. Dann begab er sich ins Wohnzimmer, schaltete die Elfuhrnachrichten ein und machte es sich auf dem Sofa bequem. Er ließ in beiden Räumen das Licht brennen. Wenn er seinen Kopf ein wenig nach rechts drehte, hatte er einen ungehinderten Blick auf die Ablage in der Küche. Jede Bewegung konnte er wahrnehmen.
Dies war rein wissenschaftlich, versicherte Tom sich. Ein Experiment.
Er war zufrieden mit sich, dass er das Problem objektiv anging. Auf eine Weise war es beinahe aufregend – lange wach zu bleiben und darauf zu warten, dass etwas Unglaubliches geschah. Er legte die Füße auf den Couchtisch und öffnete eine Dose Mineralwasser.
Eine halbe Stunde später war er nicht mehr so begeistert. Er war immer früh zu Bett gegangen. Es fiel ihm schwer, während der Werbespots nicht einzunicken. Er döste einen Moment lang, setzte sich aufrecht hin und warf einen Blick in die Küche. Nichts hatte sich verändert.
(Nun, was hatte er erwartet? Trolle mit Robin-Hood-Hüten, die ein fröhliches Liedchen vor sich hin pfiffen? Oder vielleicht sogar – und diese Idee kam aus einem ziemlich obskuren Winkel seines Bewusstseins – rattenähnliche Kreaturen? Mit klickenden Pfoten und untertassengroßen Augen?)
Die Tonight-Show war alles andere als aufmunternd, aber er brauchte nicht bei Carson hängen zu bleiben. Er war in der vergangenen Woche an das Kabelnetz angeschlossen worden. Nun missbrauchte er die Fernbedienung, bis er bei einem altertümlichen Science-Fiction-Film landete: Formicula mit James Whitmore und Riesenameisen in der Mojavewüste. In den Filmen brachte Strahlung immer gigantische Insekten hervor. In der Umgebung von defekten Kernreaktoren verursachte sie vorwiegend Krebs und Leukämie – das war der Unterschied, so hatte Barbara einmal festgestellt, zwischen Kunst und Leben. Er nickte wieder ein, als die Ameisen Zuflucht in den Abwasserkanälen von Los Angeles suchten. Er stand auf, ging in die Küche – wo sich nichts verändert hatte – und bereitete sich eine Tasse Kaffee zu. Jetzt hatte er seltsamerweise zum ersten Mal das Gefühl, dass es schon sehr spät war. Auf der Post Road herrschte kein Verkehr mehr, und der Vollmond hing über seinem Garten. Er nahm den Kaffee mit ins Wohnzimmer. Ihm kam der Gedanke, dass er sich
Weitere Kostenlose Bücher