Chronos
einen Fluss von beruhigenden Endorphinen aus. Fast im gleichen Moment schlief Ben wieder ein.
Als er das nächste Mal aufwachen durfte, waren die grundlegenden Mechanismen des Selbst und des Denkens nahezu vollständig repariert. Er wusste, wer er war und was mit ihm geschehen war. Er war paralysiert und blind, aber die Nanomechanismen verliehen ihm Sicherheit und überwachten seine neurochemischen Vorgänge auf Anzeichen von Panik.
Ben dachte besorgt an seiner Wächterpflichten, die in der Zeit seines Todes sicherlich vernachlässigt worden waren. Ein Gedanke überlagerte alle anderen: Sagt mir, was mit dem Haus geschehen ist.
Bald, antworteten die Nanomechanismen. Er hatte gute Fortschritte gemacht, aber er war noch nicht so weit, seinen früheren Status wieder einzunehmen. Dazu müsste er völlig geheilt sein.
Schlaf jetzt, sagten sie. Er war ihnen dankbar und schlief.
Als er das nächste Mal erwachte, war er schlagartig bei Bewusstsein und achtete auf alles, was um ihn herum vorging.
Jemand ist aufgetaucht, teilten ihm die Nanomechanismen mit.
Ben wusste, wo er sich befand. Er war in dem alten Holzschuppen im Wald hinter dem Haus. Die kybernetischen Helfer hatten seine Erinnerung wiederhergestellt, auch die Erinnerung an seine eigene Ermordung und an das, was danach passiert war. Eigentlich war ihre gesammelte Erinnerung auch die seine.
Die kybernetischen Helfer waren für Ben als seine persönlichen Begleiter entwickelt worden – als Teile von ihm selbst –, und ihn freute, wie gut sie ohne ihn funktioniert hatten. Für einen Moment, kürzer als eine Sekunde, genoss er die Einzelheiten seiner eigenen Wiederherstellung.
Die zwar ein Wunder, aber unglücklicherweise nicht vollständig war. Sein Geist war fast komplett funktionsfähig, doch an seinem Körper musste noch gearbeitet werden. Sein Schädel war noch immer unfertig. Große Teile wurden durch eine klebrige, transparente Haube ersetzt. Sein linkes Bein war ein geäderter Fleischlappen. Muskelgewebe lag an verschiedenen Stellen seines Körpers, wo die Haut und die verfaulten Partien entfernt und sterilisiert worden waren, offen zutage.
Wenigstens funktionierten seine Augen schon wieder. Er öffnete sie. Er lag in dem modernden Zeitungshaufen. Sonnenstrahlen drangen durch Ritzen in der südlichen Wand der Holzhütte herein. Alles war hier grün. Es war die Farbe des Mooses und der Flechten. Die Luft war erfüllt von Staubpartikeln, Pollen und Sporen.
Er schaute zur Tür des Schuppens, einer an primitiven Angeln hängenden Platte aus rohen Brettern, die von rostigen Eisennägeln zusammengehalten wurde.
Seine Ohren lauschten. Er konnte das Rasseln seines eigenen Atems hören ... das leise Scharren der kybernetischen Mechanismen in dem Durcheinander ringsum.
Den Klang von Schritten im hohen Gras jenseits der Tür.
Nun das Geräusch einer Hand an dem primitiven Riegel, der die Tür geschlossen hielt.
Das Kratzen des Riegels, als er geöffnet wurde.
Die Tür, als sie quietschend nach innen schwang.
Ben konnte sich nicht rühren. Er sog Luft tief in seine gepeinigte Lunge und hoffte, dass er wenigstens reden konnte.
8
Greenwich Village, Manhattan, in der brütenden Hitze und bevölkert von den wogenden Menschenmassen des Sommers 1962. Bis Ende Juni hatte Tom Winter einige interessante Dinge über seine neue Heimat in Erfahrung bringen können.
Er lernte einige Daten aus ihrer Geschichte kennen. »Das Village«, von den Indianern Sapokanican und Greenwich von den Engländern genannt, war ein eleganter Teil Manhattans gewesen, bis seine Bewohner gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts über den Broadway nach Norden abwanderten. Dann erschienen zuerst Immigranten und ließen sich dort nieder, anschließend eine radikale Künstlerschar, die vor dem Ersten Weltkrieg durch niedrige Mieten angelockt worden war. Wenn seine Zeitmaschine ihn in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts abgesetzt hätte, hätte er Romany Marie's in einer ihrer zahlreichen Verkörperungen besuchen – am Sheridan Square oder später in der Christopher Street – und Eugene O'Neill beobachten können, wie er sich Notizen für ein Bühnenstück machte, oder Edgar Varese, der eine Ciorba verspeiste, die mit Lauch und Dill gewürzt war. Oder er wäre 1950 dort angekommen und hätte Dylan Thomas betrunken im White Horse oder Jack Kerouac im Remo antreffen können, wo er von Kalifornien träumte.
Seitdem waren die Mieten gestiegen. Ein allmählicher
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