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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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vermutete sie.
    Er blinzelte bei dieser Vorstellung. Joyce fuhr fort. »Die Leute, die ihn benutzen sollen, sind nicht da. Deshalb hat jemand ihn benutzt, der es nicht durfte ... Vielleicht hat er ihn entsprechend präpariert, damit keiner ihn wiederfindet.«
    Tom nickte nachdenklich. »Das könnte möglich sein.«
    »Es muss weitere Tunnel geben. Sonst macht der hier keinen Sinn. Vielleicht war er mit irgendetwas verknüpft – als eine Art Verbindungsgang. Aber jemand ist hier eingedrungen und hat ihn versperrt.«
    Das klang einleuchtend. Eine bessere Erklärung fiel ihm nicht ein. »Aber das wissen wir nicht.«
    »Hey«, sagte sie. »Miss Marple ist dem Täter auf der Spur.« Möglicherweise, dachte Tom, ging alles gut aus. Er hatte sie überredet, umzukehren und zurückzugehen – aber dann passierte etwas Seltsames.
    Joyce sah es zuerst.
    »Sieh doch«, sagte sie. »Tom? Was ist das?«
    Er drehte sich um und schaute in die Richtung, in die sie deutete, und hatte dabei schon die ersten Angstgefühle.
    Was er sah, war nur ein vages helles Flackern in einiger Entfernung vor dem Hintergrund der gleichmäßigen Helligkeit des Tunnels. Er nahm zuerst an, es sei ein Defekt der Beleuchtung. Dann drückte Joyce seine Hand. »Es rührt sich!«, sagte sie.
    Langsam, aber durchaus wahrnehmbar, bewegte es sich. Es kam auf sie zu.
    Er schätzte, dass es etwa hundert Meter von ihnen entfernt war – vielleicht auch etwas mehr.
    Er sah zu dem Geröllhaufen am Ende des Tunnels. Sie hatten sich etwa zehn Meter davon entfernt. Eine Distanz, die sie leicht rennend überwinden könnten, dachte Tom.
    »Was ist das?«, wiederholte Joyce. In ihrer Stimme lag ein Zittern der Unsicherheit – noch schien es nicht Angst zu sein.
    »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Tom. »Ich finde, wir sollten lieber verschwinden, solange es noch möglich ist.«
    Was er empfand, war nicht unbedingt Scheu und auch keine Furcht. Das leuchtende Etwas war hell und hatte die Andeutung einer bestimmten Form. Tom trieb Joyce zum Ausgang. Er war sich darüber im Klaren, dass er sich in nächster Nähe von etwas befand, was er nicht verstand, etwas, das dem Tunnel selbst ähnlich war: fremdartig, mächtig, jenseits seiner Vorstellungskraft.
    Dies war der Tunnel unter der Welt, wo Dämonen und Engel lebten. Er hielt dort inne, wo die Ziegelmauer und alter Verputz und Mörtel sich angesammelt hatten, denn es war unmöglich, dem Drang, sich umzudrehen und zurückzuschauen, zu widerstehen.
    Joyce tat das Gleiche.
    Aber die Erscheinung hatte sich weitaus schneller bewegt, als sie vermutet hatten.
    Sie hatte sie beinahe eingeholt.
    Tom hielt den Atem an und wich instinktiv zurück – und blieb mit dem Fuß an einem Ziegelstein hängen und stürzte zu Boden.
    Joyce schrie. »Tom!« Sie versuchte, ihn hochzuziehen.
    Das Wesen verharrte und belauerte sie.
    Tom fand keine Bezeichnung für das Ding, das über ihnen in der Luft schwebte und ihnen fast nahe genug war, dass sie es berühren könnten. Für einen kurzen Moment wurde seine Angst von einer Art hoffnungslosen Staunens überlagert.
    Die Gestalt der Erscheinung war unklar – sie war an den Kanten verschwommen –, aber sie war annähernd menschlich.
    Später ließ Tom dieses Erlebnis noch einmal in seiner Erinnerung Revue passieren und versuchte, das Wesen in Gedanken zu rekonstruieren. Wenn man einen Plan des menschlichen Nervensystems anfertigte, dachte er, und ihn mit blauen Neonröhren ausführte und dann mit einer hellen Lichtaura umgab ... dies ähnelte der Erscheinung am meisten.
    Sie war durchsichtig, aber nicht geisterhaft. Es konnte keinen Zweifel an ihrer physischen Existenz geben. Er spürte die von dem Wesen abgestrahlte Wärme in seinem Gesicht.
    Joyce kauerte neben ihm.
    Das Wesen hatte aufgehört, sich zu bewegen. Es beobachtete sie, dachte er – vielleicht mit den beiden undurchsichtigen Flecken, die die Position von Augen einnahmen, vielleicht auf irgendeine andere Art und Weise.
    Es war furchtbar – und nur deshalb erträglich, weil das Wesen absolut unbeweglich verharrte.
    Tom zählte stumm bis zehn, dann schob er sich rückwärts auf den Schutthaufen.
    Die Aufmerksamkeit des Wesens blieb auf ihn gerichtet, aber mehr nicht.
    Joyce sah ihn an. Er spürte am Griff ihrer Hand, dass sie schreckliche Angst hatte, aber immer noch relativ besonnen war. »Geh langsam zurück«, flüsterte er. »Wenn das Ding sich bewegt, bleib sofort stehen.«
    Er zweifelte nicht an der unermesslichen Kraft

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