Chucks Welt
kurz rüber und erwischt mich beim Hereinlinsen. Schnell ziehe ich den Kopf weg, aber ich höre ihn zu den andern sagen, er wäre gleich zurück. Draußen steuert er direkt auf mich zu.
»Was machst du hier?«, fragt er vorwurfsvoll.
»Nichts«, sage ich. »Hab den Bus verpasst.«
Mein Versuch, Steve Schuldgefühle einzureden, scheitert kläglich.
»Du bist jetzt also im Matheteam?«, frage ich in der leisen Hoffnung, dass es nicht so wäre.
»Exakt. Gibt noch einen Wettkampf dieses Jahr und dafür hat ihnen ein Mann gefehlt.«
»Oh.«
»Hast du ein Problem damit?«, sagt Steve.
»Nein. Ich bin nur …« Mir fällt nichts mehr ein. Ich starre auf meine Füße.
»Okay, na ja, ich geh dann wohl besser.«
»Wirst du jemals wieder mit mir sprechen?«
»Weiß ich nicht, Chuck. Vielleicht ist es besser, wenn jeder für sich weitermacht.«
»Was soll das heißen?«
»Wir gehen sowieso beide bald aufs College. Dann sind wir nicht mal mehr im selben Bundesstaat. Ich muss neue Leute kennenlernen und neue Freunde finden, die mir den Rücken freihalten und mir zuhören, wenn ich Probleme habe.«
»Wie oft habe ich mir diese dämliche Geschichte von dem Mädel angehört, das es dir angeblich besorgt hat?«, sage ich. »Dabei ist die nicht mal wahr. Du bist so ein Lügner.«
Ich laufe rot an. Steve auch. Zwei Versager, die im Gang stehen und sich wie Mädchen ihre Gefühle um die Ohren hauen.
»Darum geht’s jetzt nicht, das weißt du genau«, gibt Steve zurück. »Und dass ausgerechnet du mich einen Lügner nennst, ist ja wohl der Gipfel! Du hast mir ins Gesicht gelogen, und dann musste ich mir diese ganze Scheiße auch noch vom Boden aus anhören, nachdem ich so richtig eins in die Fresse gekriegt habe. Meinst du, das hat Spaß gemacht?«
»Nein, natürlich nicht. Aber …«
»Ich pack das nicht mehr, Chuck. Ich kann meine Lebenszeit nicht mehr damit verschwenden, dass ich herumstehe, während du dir die Hände schrubbst und über irgendein Mädchen flennst.«
»Steve, ich mach’s wieder gut. Ich rede mit Beth. Ich werd …«
»Vergiss es, Mann. Zu spät.«
»Aber … was soll ich denn jetzt machen?«, bettle ich.
»Keine Ahnung, Chuck. Aber weißt du, was ansteht? Ein kleiner Campingausflug, auch als Abschlussfahrt bekannt. Ich bin dabei. Die Jungs da drin«, sagt Steve mit einer Handbewegung zum Matheteam-Treffen, »die sind auch dabei. Und weißt du, wer noch? Parker. Kann gut sein, dass er mich zu Brei schlägt und ich dann irgendwo im Wald verrecke. Aber weißt du was? Das ist mir egal. Die Frage ist nur: Wo wirst du sein, Chuck?«
Ich sage nichts. Mein Mund ist total trocken.
»Dachte ich mir«, meint Steve. »Tu mir einen Gefallen und lass mich in Zukunft in Ruhe.« Mit einem herablassenden Kopfschütteln geht er zurück ins Klassenzimmer und schlägt die Tür hinter sich zu.
Es ist nicht zu fassen: Mein bester Kumpel hat mir gerade die Freundschaft aufgekündigt.
E ins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn.
Wie ein Zombie stehe ich an meinem Schließfach und drehe pausenlos am Schloss herum. Aber es funktioniert nicht. Wenn ich bei vierzehn ankomme, ist da nicht mehr das gleiche vertraute Gefühl wie früher. Die Pillen müssen irgendwas mit meinem Hirn angestellt haben oder so. Alles wird schlimmer. Viel schlimmer. In letzter Zeit bin ich dauernd wie im Nebel.
Etwa beim zwanzigsten Versuch kriege ich es endlich richtig hin und kann zu meinem nächsten Kurs loslaufen. Alles um mich herum wirkt fad – und damit meine ich nicht langweilig, sondern so was wie dumpf oder diffus. Die Farben sind verblasst, die Geräusche gedämpft. Ich fühle mich gar nicht gut.
Stacey und Wendy kommen mir entgegen und laufen an mir vorbei. Ich schnappe nur das Wort »Limo« auf und weiß sofort, dass sie über den Ball sprechen. Das verstärkt noch mein Kopfweh, das schon seit Tagen im Hintergrund lauert.
Ich entdecke einen Sagrotanspender und steuere direkt darauf zu.Dabei habe ich seit dem letzten Mal nichts angefasst, überhaupt gar nichts; aber dieser Tage scheint sogar die Luft vor Bakterien nur so zu schwirren. Es ist der Automat neben der Sporthalle, wo ich Amy und Steve miteinander bekannt gemacht habe. Oder besser gesagt, wo er sich ihr
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