Chuzpe: Roman (German Edition)
allein zu sein. Sie genoß nicht das Alleinsein. Aber in der Lage zu sein, allein zu sein, hatte ihr Ruhe gegeben. Sicher keine übertrieben große Ruhe. Niemandem war etwas aufgefallen.
»Was ist mit deinem Vater und Zofia und Walentyna?« fragte Garth. »Ich weiß, daß es allmählich Kundschaft gibt, und letzten Freitag war das Lokal bis auf den letzten Platz besetzt, hat mir Kate erzählt.«
»Es war wie im Slapstickfilm«, sagte Ruth. »Na ja, wenn man nicht dabei war. Ich glaube, Kate und Zelda waren gegen Ende des Wochenendes kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Am Montag haben sie den Laden geschlossen,um ihr Personal zu schulen. Kate und Zelda waren die Kursleiterinnen.«
»Kate hat mir erzählt, daß viele der Gäste aus der Nachbarschaft sind«, sagte Garth. »Einer von ihnen hat ihr erzählt, daß dein Vater sich auf jeden Vorbeigehenden stürzt, der länger als zehn Sekunden stehenbleibt, und ihm alles über das Restaurant erzählt.«
Ruth lachte. »Mein Vater ist ein Irrer«, sagte sie. »Kein Wunder, daß ich Jahrzehnte der Analyse hinter mir habe.«
Nach zehn Tagen war in den Alltag von »Klops braucht der Mensch« mehr Routine eingekehrt, und die Katastrophen waren seltener geworden. Edeks Pflichten waren klar umrissen. Er hatte die Gäste zu begrüßen und ihnen einen Tisch zuzuweisen. Er war der Oberkellner. Kate hatte ihm seine Aufgaben auf eine Karte geschrieben. Sie hatten zwei Kellnerinnen eingestellt, Josés Ehefrau Evangelina und seine Nichte Angelica. Beide verstanden sich auf ihre Arbeit. Kate sagte, wenn das Restaurant erst einmal aus dem Gröbsten heraus sei, könne Evangelina Managerin werden und die Vormittagsschicht übernehmen. »Grandpa und Walentyna können auf lange Sicht so ein Arbeitspensum nicht bewältigen, und selbst Zofia hält das vermutlich nicht durch«, sagte Kate zu Ruth. José und Juan hatten ihren Freund Vincente in der Küche als Spülhilfe beschäftigt. Und Walentyna hatte sich beruhigt. Das Mittagsgeschäft sei kein Problem, sagte Kate. Aber abends sei einfach zuviel los. »Leere Tische haben wir abends so gut wie nie«, sagte sie. Und montags war das Lokal inzwischen geschlossen.
Edek war nicht das, was man als die Ruhe in Person bezeichnen konnte. Als Ruth ihn zuletzt gesehen hatte, hatte er noch immer jeden Gast mit an Hysterie grenzendem Überschwang begrüßt. Sie war mit Zelda, Zachary und Kate zum Essen dort gewesen. Bei jedem neuen Gast war Edek anihrem Tisch erschienen und hatte vernehmlich geflüstert: »Noch ein Gast!« Ruth hatte nicht schlecht gestaunt. Die Leute bestellten, aßen und zahlten. »Klops braucht der Mensch« hatte sich zu einem echten Restaurant mit echten Kunden gemausert. Zofia schien allem gewachsen zu sein. Nichts konnte sie verwirren. Oder überraschen. Sie kam in regelmäßigen Abständen aus der Küche, um nach Edek zu sehen.
»Wir müssen uns anstrengen, damit wir die Gäste behalten, die wir haben«, sagte Zofia am Ende des Abends zu Ruth. »Die Leute müssen wiederkommen«, sagte sie. »Wenn sie wiederkommen, hat unser Geschäft eine solide Grundlage.«
»Das ist sehr klug«, sagte Edek zu Zofia.
»Sie hat wirklich Mumm in den Eiern«, sagte Zachary, als Zofia nicht mehr am Tisch war.
»Zofia hat beschlossen zu machen eine kleine Party, um sich zu bedanken bei allen Leuten, was uns haben geholfen«, sagte Edek zu Ruth. »Wir wollen die Party machen an einem Montagabend.«
»Zofia ist ein Genie«, sagte Kate.
»Sie ist eine hervorragende Köchin«, sagte Zelda. Zelda aß gerade einen Krapfen aus Schokolade, Mandelmehl und Pflaumen, eines der zwei Desserts auf der Karte. Das andere Dessert war ein ofenfrischer Granny-Smith-Bratapfel.
Als Ruth zu der Party kam, war »Klops braucht der Mensch« brechend voll. An der Tür hing ein Schild mit dem handschriftlichen Vermerk: »Geschlossen wegen einer kleinen Familienfeier«.
Ruth sah, daß Zachary und Zelda sich mit Max unterhielten. Und dann sah sie Edek. Edek küßte alle möglichen Leute. Ruth sah, wie er José, Juan und Vincente küßte. Dabei hätte Edek fast das Tablett mit Essen heruntergerissen, das Vincente in den Händen hielt. Sie sah, wie Edek Kateküßte und dann Sonia, die neben Kate stand. Sonia legte Edek die Arme um den Hals und erwiderte seinen Kuß ausführlicher als nötig. Edek küßte noch mehr Leute. Ruth hatte nicht die geringste Ahnung, um wen es sich handeln mochte. Walentyna erblickte Ruth und bahnte sich einen Weg durch die Menge, um sie zu umarmen.
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