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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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»Ich freue mich so, Sie zu sehen, Ruthie«, sagte sie. »Das ist eine sehr nette Party.« Ruth fand, daß es tatsächlich nach einer netten Party aussah. Die Leute wirkten entspannt und gutgelaunt, was man nicht von allen New Yorker Partys behaupten konnte. Oft war die Atmosphäre einer Party so angespannt und themenüberfrachtet wie eine Vorstandssitzung. Anwesend waren fünfzig bis sechzig Gäste. Ruths Vorstellung von einer kleinen Party entsprach das nicht.
    Ruth hörte Edeks Stimme. »Ruthie, Ruthie, Ruthie«, rief Edek. Er kam ihr entgegen und hielt die Hand eines untersetzten Mannes Ende vierzig oder Anfang fünfzig umklammert. »Ruthie, das ist Peter, der Metzger, was hat seinen Laden nicht weit von unserer Wohnung«, sagte Edek. »Der gekommen ist mit seiner Frau zu uns nach Hause zum Abendessen. Peter«, sagte Edek, »ich möchte dich machen bekannt mit meiner Tochter Ruthie. Ruthie schreibt Briefe, und sie verdient damit eine Menge Geld.«
    Edek machte Ruth mit einem Halbdutzend anderer Leute bekannt. Er erzählte ihnen allen mehr oder weniger das gleiche. »Das ist meine Tochter Ruthie, und sie verdient eine Menge Geld.« Mit geringfügigen Varianten. Den einen schwärmte er von den Preisen vor, die sie für ihre Briefe verlangte, den anderen erklärte er, daß sie zwar viel Geld verdiene, aber zuviel arbeite. Ruth kam sich allmählich wohlhabend, überarbeitet und peinlich berührt vor. Sie entschuldigte sich und ging weiter, bevor Edek sie mit weiteren Leuten bekannt machen konnte. Sie lief Zofia direkt in die Arme. Zofia umarmte sie. Es war eine so herzliche Umarmung,daß Ruth keine Luft mehr bekam. Zofia drückte sie abermals und strahlte sie an. Ruth trat einen Schritt zurück und begrüßte Zofia. Zofia trug ein knallgrünes Kleid. Ein Kleid, wie es junge Mädchen beim Schlittschuhlaufen tragen. Mit engem Oberteil und engen Ärmeln, ab der Taille ausgestellt und mit einem Rocksaum, der kurz über den Knien endete. Ausschnitt und Saum waren mit Pelz eingefaßt. Zofia sah aus, als vertrete sie Kasachstan bei den Olympischen Winterspielen. Wenn man von ihrem Ausschnitt und Busen absah. Zofias Ausschnitt und Busen überschatteten das leuchtende Grün des Kleides und den Pelzbesatz.
    »Ruthie, Liebling«, sagte Zofia. »Ich habe Sie schon gesucht. Ich möchte Sie mit John und Virginia bekannt machen, die im selben Haus wohnen wie wir. John und Virginia, das ist Ruthie, die fast meine Tochter ist.«
    Ruth bemühte sich, angesichts von Zofias Worten nicht verwirrt oder verstört auszusehen. Sie hatte nicht das Gefühl, fast Zofias Tochter zu sein. Sie fragte sich, wie nah so ein Fast war. Sie nahm an, daß der Grad der Nähe variabel war. Dieser Gedanke beruhigte sie.
    »Wir finden es wunderbar, Zofia und Walentyna und Edek als Nachbarn zu haben«, sagte John.
    »Die Hälfte der Bewohner in unserem Haus hat zugenommen, seit Zofia bei uns wohnt«, sagte Virginia.
    Ruth lachte. Zofia lachte ebenfalls. »Das ist nicht wahr«, sagte Zofia. »Sehen Sie sich John und Virginia an. Sind sie vielleicht dick?«
    Ob jemand dick sei, war eine Frage, die New Yorker Gastgeber nicht zu stellen pflegten, wenn sie ihre Gäste einander vorstellten. Vielleicht galt es in Polen als Zeichen feiner Umgangsformen, seine Gäste zu fragen, ob sie andere Gäste für dick hielten. In Manhattan war das nicht der Fall.
    »Nein, das sind sie nicht«, sagte Ruth etwas zu schnell. Und wünschte dann, sie hätte den Mund gehalten. Sie klangwie jemand, der Leuten, die er überhaupt nicht kannte, eilfertig versicherte, sie seien nicht übergewichtig.
    Zofia wandte sich ab, um jemanden zu begrüßen. Ruth erblickte in einer Ecke Prudence Price, die Restaurantkritikerin und Kolumnistin. Sie kannte sie von Fotos, die in Zeitungen und Zeitschriften zu sehen gewesen waren. Ruth war verblüfft. Woher wußte Prudence Price von diesem Lokal? Ruth ging zu ihr und stellte sich vor.
    »Sie sind also Edek Rothwax’ Tochter?« sagte Prudence Price.
    Das hatte seit Ruths zwölftem oder dreizehntem Lebensjahr niemand mehr zu ihr gesagt. »Woher kennen Sie meinen Vater?« fragte sie.
    »Er hat mich auf der Straße angesprochen, als ich vorbeiging, ein paar Wochen vor der Eröffnung dieses Restaurants«, sagte Prudence Price.
    »Das kann nicht wahr sein«, sagte Ruth. »Mein Vater hat eine große Schwäche für Blondinen.«
    »Er hat alle Leute angesprochen«, sagte Prudence Price. »Er hat jeden angehalten, der in Sichtweite des Restaurants vorbeikam,

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