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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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Aufdruck. Sie verfaßte ziemlich kostspielige Briefe. Sie war überzeugt, daß der typische Rothwax-Correspondence-Kunde sich nicht aus den Kreisen derer rekrutierte, die Visitenkarten an Registrierkassen zur Kenntnis nahmen. Sie kam sich ein bißchen wie ein Snob vor. Elitär. Aber es war ihr egal. Sie wollte ihre Visitenkarte nicht an irgendwelchen Registrierkassen sehen. Die Karte war so schief angeklebt, daß sie halb abstand. Die schiefe Position machte die Karte auffälliger, als sie es bei ordentlicher Anbringung gewesen wäre. Es war Montag, das Restaurant hatte geschlossen.
    Edek, der an einem der Tische saß, sah, daß Ruth die Visitenkarte entdeckt hatte. Er sprang auf und kam auf sie zugelaufen. Er wirkte aufgeregt. Er trug seine »Klops braucht der Mensch«-Schürze, und irgend etwas an der Kombination aus Schürze und Eifer trieb Ruth fast die Tränen in die Augen. Ihr Vater strahlte. Er strahlte den überwältigenden und beinahe unschuldigen Eifer eines Kindes aus. Ruth dachte an das, was ihr Vater durchgemacht hatte. Er hatte die niederträchtige, barbarische Natur der Menschen erlebt. Die Mordlust ganz normaler Menschen. Menschen, die keine Psychopathen waren, Menschen, die Ehemänner waren, Söhne, Schwiegersöhne, Schwiegerväter oder Cousins. Menschen, die Nachbarn waren, Menschen, die zu Glaubensgemeinschaften gehörten. Und Edek hatte die Ermordeten gesehen. Er hatte zwischen ihnen gelegen. So viele von ihnen waren seine Freunde und Verwandten gewesen. Ruth wunderte sich darüber, daß all das nicht jedenEifer in ihm abgetötet hatte. Und darüber, daß sie selbst sich so schwertat, auch nur das kleinste bißchen Optimismus oder Überschwang oder Begeisterung aufzubringen.
    »Ruthie, ich sehe, daß du schon hast gesehen meine gute Idee«, sagte Edek und gab ihr einen dicken Kuß. »Um zu sagen die Wahrheit, dachte ich, daß du vielleicht nicht wärst so glücklich darüber. Ich habe gesagt zu Zofia: ›Wenn Ruthie ist nicht glücklich, wir nehmen die Visitenkarte, was wir haben geklebt an die Registrierkasse, sofort wieder weg.‹«
    »Ich bin glücklich darüber, Dad«, sagte Ruth. Edek beäugte sie kritisch. »Ich bin glücklich darüber«, sagte sie.
    »Ruthie, Liebling, ich glaube, du bist geworden viel ruhiger, als was du warst«, sagte Edek.
    Ruhiger als wann, fragte sich Ruth. Sie war sich nicht so sicher, daß sie ruhiger geworden war. Sie war sich nicht sicher, daß sie jemals ruhiger gewesen war. Sie war sich nicht sicher, daß sie jemals ruhig gewesen war. Obwohl Ruhe und Gelassenheit eine Begleiterscheinung des Alterns zu sein schienen. Die meisten alten Leute wirkten entspannter, unaufgeregter. Ruth nahm an, daß sie wahrscheinlich zu den Ausnahmen zählen würde, den hektischen Alten.
    »Du bist nie gewesen so eine besonders ruhige Type«, sagte Edek. »Aber inzwischen du nimmst dir nicht mehr alles so zu Herzen. Ich glaube, du nimmst nicht mehr alles so schwer.«
    Ruth versuchte, sich eine Liste der Dinge vorzustellen, die sie sich nicht mehr zu Herzen nahm. Ihr fiel nicht besonders viel ein. Vielleicht konnte sie es besser ertragen, daß Garth abwesend war. Sie hatte aufgehört, das Loft ohne Garth als leer zu empfinden. Sie fragte sich, welche Dinge Edek meinen mochte. Vielleicht spielte er auf Zofia an. Sie fragte sich, ob er recht hatte.
    »Wie geht es dir, Dad?« fragte sie.
    »So gut, wie man kann erwarten«, sagte er unter Verwendungseiner üblichen Antwort. »Um ehrlich zu sein, bin ich ein bißchen müde«, fügte er hinzu. »Und Walentyna ist auch ein bißchen müde.«
    Es war kein Wunder, daß Edek ein bißchen müde war. Er war siebenundachtzig. Er war Oberkellner in einem neueröffneten Restaurant. Und möglicherweise noch immer Leiter der Vorwärtsabteilung dieses Restaurants. Als Ruth sich das letzte Mal erkundigt hatte, war Edek noch immer für die Bestellungen zuständig gewesen und hatte die Lieferungen überprüft. Ruth konnte es nicht glauben, daß ihr Vater und Walentyna nur ein bißchen müde sein wollten. Sie war selbst müde. Und sie saß bloß am Schreibtisch. Und machte sich Sorgen. Und verfaßte Briefe. Zofia dagegen war kein bißchen müde. Das hatte Ruth auch nicht anders erwartet. Zofia wirkte wie jemand, der nie müde wurde. Vielleicht war das auch eine Begleiterscheinung des Schwimmens.
    »Wir haben eine neue Person, was wird anfangen nächste Woche«, sagte Edek. »Sie wird übernehmen das Telefon und machen alle Reservierungen. Das wird vieles

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