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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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einzigen Rechtsstreit. Oder Pflegschaften oder Treuhandverwaltung, da ist man vielleicht mit drei, vier Fällen am Tag beschäftigt. Aber als Urheberrechtler brütest du nicht den ganzen Tag über einem einzigen Patent. Du bist vielleicht eine Stunde lang mit einem Aspekt eines Falls beschäftigt, und dann kommt schon der nächste Fall dran. Urheberrecht ist vor allem eine Frage des Timings und der Termine, die man einhalten muß. Man schiebt eine Riesenmenge Fälle im jeweils richtigen Moment Stück für Stück voran.
    Während des Telefonats mit einem Mandanten, den ich heute nachmittag eine halbe Stunde lang dran hatte, habe ich mir ausgemalt, wie ich mich in einem italienischen Dorf zur Ruhe setze oder den Mandanten umbringe. Er raubt einem den letzten Nerv. Er ist das Allerletzte. Er will jede Menge Arbeit für so gut wie kein Geld und fragt einem über jeden einzelnen Posten der Abrechnung Löcher in den Bauch. Wenn Abrechnungen angezweifelt werden, schiebt das die Bezahlung hinaus. Bei einer Honorarnote über zehntausend Dollar will er wissen, warum man ihm für ein Fax drei Dollar in Rechnung gestellt hat. Er benutzt Zehndollarbeträge, um Rechnungen über zehntausend Dollar hinauszuschieben. Er ist das Letzte, und er redet nur in Fäkalsprache.Heute nachmittag war ich dran. ›Diese bekackte Scheiße kann ich nicht glauben‹, hat er zu mir gesagt. ›Ihr Arschlöcher wollt mich bis aufs Blut aussaugen. Ich kann nicht mehr arbeiten, weil mein ganzes Geld von euch Scheißkerlen eingestrichen wird.‹ Seine Abschiedsworte waren: ›Ihr Schwanzlutscher saugt mir das Blut aus den Adern.‹«
    »Hat dich sein Ton gestört oder der unflätige Inhalt seiner Worte?« wollte Ruth wissen.
    »Ich glaube, es war die Kombination aus beidem.«
    »Aber du fluchst doch auch«, sagte Ruth.
    »Nur in Gegenwart von Freunden«, sagte Sonia. »Schwanzlutscher klingt wesentlich harmloser, wenn man es im Gespräch mit Freunden sagt.«
    Ruth konnte dem eine gewisse Logik nicht absprechen, obwohl sie nicht genau hätte sagen können, worin diese Logik bestand.
    »Er schreit mich an«, sagte Sonia. »Ich glaube, das ist es, was mich am meisten stört. Ich kann schließlich keine Unflätigkeiten zurückbrüllen. Am liebsten würde ich ihn anschreien: ›Sie Arschficker, Sie Schwanzlutscher, Sie verrotteter, stinkender Drecksack!‹, aber ich kann es nicht. Ich muß mit ihm über sein Patent sprechen und ihm erklären, daß ich weiß, daß seine Firmenpartner sich in Mexiko befinden, aber nach New York fliegen müssen, weil die Dokumente in New York unterzeichnet werden müssen.«
    Ruth lachte. »Vielleicht würdest du ihm das mit den Worten Arschficker, Schwanzlutscher und Drecksack schneller klarmachen«, sagte sie.
    »Klar«, sagte Sonia, »und mich aus meinem Job katapultieren. Mandanten darf man nicht beschimpfen. Man muß höflich zu ihnen sein, weil man sie nicht vergraulen will. Und er ist ein wichtiger Mandant. Also saß ich da und kochte leise vor mich hin. Aber als ich dachte, dieser Tag wäre endlich vorbei, ist mir etwas Abscheuliches passiert.«
    »O nein«, sagte Ruth.
    »Weißt du, was mir passiert ist?« sagte Sonia. »Ich habe eine Tasse Kaffee verschüttet, und zwar ausgerechnet über den Schreibtisch des pingeligsten Typen der ganzen Firma.«
    Ruth mußte lachen.
    »Das war gar nicht so komisch«, sagte Sonia. »Der Typ ist wirklich ein Pedant wie aus dem Lehrbuch. Alles auf seinem Schreibtisch ist ganz akkurat angeordnet. Das kann ich noch verstehen. Aber er übertreibt es. Einmal hat jemand seinen Hefter um ein paar Zentimeter verrückt, und das war das erste, was ihm auffiel, als er an seinen Schreibtisch zurückkam. Es hat ihn völlig kirre gemacht. Er wollte partout wissen, wer das getan hatte.
    Er räumt auch gerne auf, wenn er die Gänge entlanggeht. Einmal habe ich eine Büroklammer fallen lassen, genau vor seinem Büro. Natürlich ist er rausgekommen und hat sie aufgehoben. Ein andermal habe ich ein paar Gummibänder fallen lassen, weil ich wußte, daß ihm das keine Ruhe lassen würde. Früher fand ich so etwas lustig. Aber das heute, das war nicht lustig. Ich mußte ihm einen Ordner bringen und hatte eine Tasse Kaffee in der Hand. Ich beugte mich vor, um den Ordner auf seinen Schreibtisch zu legen, und der Kaffee ergoß sich über den ganzen Schreibtisch. Seine Sekretärin und zwei Praktikanten, die dabei waren, sahen aus, als würden sie zu Eis erstarren. Ich habe mich richtig geschämt. Ich wollte ihm

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