Chuzpe: Roman (German Edition)
helfen, aber das hat ihn nur noch hysterischer gemacht. – Wahrscheinlich putzt er jetzt noch an seinem Schreibtisch herum«, sagte Sonia. »Ich brauche einen Drink.«
»Neben ihm komme ich mir ziemlich normal und ausgeglichen vor«, sagte Ruth.
»Dein Ordnungsbedürfnis ist ziemlich extrem«, sagte Sonia.
»Das finde ich nicht«, sagte Ruth. »Höchstens ein bißchenextrem. Außerdem versuche ich, mich zu bessern. Ich bin es leid, alles im Griff haben zu wollen. Ich bin es leid, alles zu wiegen, was ich esse. Ich bin es leid, so unflexibel zu sein. Ich bin mich selbst so leid. Kurz bevor Garth abgereist ist, wollte ich am liebsten von seinem Schinken-Käse-Sandwich abbeißen.« Sonia bedachte sie mit einem sonderbaren Blick. »Ich meine das wörtlich, nicht bildlich«, sagte Ruth. »Es hat mich nicht nach einem Körperteil von Garth gelüstet, sondern nach einem Bissen seines Schinken-Käse-Sandwiches. Ich esse nie Schinken-Käse-Sandwiches. Ich esse nie Sandwiches. Ich wäge die Kaloriengesamtmenge und ihre mutmaßlichen Auswirkungen ab und entscheide mich für etwas weniger Kalorienhaltiges zum Lunch. Ich hatte aber tatsächlich einen Riesenappetit auf dieses Sandwich.«
»He, Ruth, deine Analyse scheint zu guter Letzt Wirkung zu zeitigen!«
Ruth ignorierte die Bemerkung. »Ich will normal sein«, sagte sie. »Ich will wie alle anderen sein. Ich will flexibel sein.«
»Du willst normal sein, wie alle anderen sein, flexibel sein?« sagte Sonia. »Dann fang heute abend damit an. Was willst du essen?«
»Ich kann heute noch nicht anfangen«, sagte Ruth. »Ich fange morgen damit an. Ich will mein Müsli ändern und mehr Erdbeeren hineintun.«
»So stellst du dir deine Veränderung vor?« sagte Sonia. »Das wird ein langer und dorniger Weg.«
Ruth bestellte eine Flasche San Pellegrino, und Sonia bestellte einen Scotch on the Rocks. Sie studierten die Speisekarte.
»Ich nehme das Kalbsschnitzel«, verkündete Sonia. »Nimm nichts mit Spinat«, sagte sie zu Ruth. »Du bist doch dein neues Ich.«
»Ich nehme die gegrillten Shrimps«, sagte Ruth.
»Dein neues Ich wird schwer von deinem alten Ich zu unterscheiden sein«, sagte Sonia. Sie leerte ihren Scotch und seufzte vor Behagen.
»Ich will kühner sein«, sagte Ruth. »Ich bin es leid, so aussehen zu müssen, wie ich aussehe. Ich bin es leid, daß meine Haare immer richtig aussehen sollen. Was auch immer ich unter richtig verstehe. Ich wasche mir jeden Tag die Haare, weil ich es nicht leiden kann, daß meine Locken nachts kraus werden. Und ich lasse sie beim Frühstück trocknen, weil ich es nicht leiden kann, wie sie sich verdrehen, wenn ich sie föhne.«
»So viel Arbeit machst du dir mit deinen Haaren?« sagte Sonia. Sie begutachtete Ruths Haare mit einem prüfenden Blick. »Sie sehen aus, als würden sie immer so aussehen.«
»Damit sie so aussehen«, sagte Ruth, »braucht es das richtige Shampoo, die richtigen Pflegeprodukte für das feuchte Haar, die richtige Art des Trocknens und die richtigen Pflegeprodukte für das getrocknete Haar.«
»Und das machst du jeden Tag?« sagte Sonia.
»Ja«, sagte Ruth. »Aber ich will mich ändern. Ich will mir nicht mehr jeden Tag die Haare waschen. Ich will es mit jedem zweiten Tag probieren. Ich wünschte, ich wäre jemand, der sich eine Woche lang nicht die Haare wäscht.«
Ruth schwieg für einen Augenblick. »Eine der Frauen, die ich zu der Frauengruppe eingeladen hatte, hat mich heute angerufen«, sagte sie. »Sie sagt, es wäre sinnvoller, eine Gruppe zu gründen, die Männer umerzieht, so daß sie den Frauen mehr zutrauen und erlauben. Das hat mich richtig deprimiert. Frauen setzen sich zusammen und reden darüber, warum Männer Frauen unterdrücken. Aber das Thema, ob Frauen Frauen unterdrücken – darüber schweigen sich alle aus.
Wenn wir nicht begreifen, daß der Mythos von der selbstlosen Fürsorge, Aufopferung und Zuwendung der Frau eineLüge ist, dann haben wir keine Chance. Frauen sind teuflisch eifersüchtig auf andere Frauen. Frauen behandeln andere Frauen als den Feind schlechthin. Wir sind unser eigener Feind. Wir kämpfen gegen das eigene Geschlecht. Und wir bedienen uns der hinterlistigsten Methoden. Rivalinnen erledigen wir mit übler Nachrede. Wir verbreiten Lügen über andere Frauen, um ihren Ruf zu schädigen. Und mit Andeutungen setzen wir sie in schlechtes Licht.«
»Das ist eine sehr negative Einstellung«, sagte eine Frau, die am Nachbartisch saß, zu Ruth.
»Negativ?« sagte
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