Chuzpe: Roman (German Edition)
hinzugefügt, sie sei der Ansicht, die Gespräche sollten nicht zu persönlich sein. Die Grundformen weiblicher Kommunikation? Was sollte das heißen? Was waren die Grundformen der Kommunikation? Reden, zuhören, nachdenken, diskutieren. Und was war Kommunikation, wenn nicht persönlich, dachte Ruth. Rechtsanwälte, Geschäftsleute, Verkaufspersonal, Wissenschaftler und sogar Ärzte besuchten Seminare, um zu lernen, ihre Kommunikation persönlicher zu gestalten. Paare gingen in Paartherapie. Unpersönliche Kommunikation schien auf keinem Gebiet sonderlich effektiv zu sein. Ruth war ratlos.Die Gruppe zersplitterte, bevor sie sich überhaupt gebildet hatte.
Minuten nach dem Eingang dieser letzten E-Mails rief Sonia an. »Was zum Teufel soll das alles?« sagte sie. »Restaurants? Einkaufsbummel? Die Grundformen der Kommunikation? Ich hätte nicht schlecht Lust, als nächstes eine Gruppenpediküre vorzuschlagen.«
Ruth mußte lachen. »Dazu könnte ich mich nicht durchringen«, sagte sie. »Meine gruseligen Zehennägel wären mir zu peinlich.«
»Was soll mit deinen Zehennägeln nicht in Ordnung sein?« sagte Sonia.
»Oh, sie werden einfach immer dicker und gelblicher, so wie die Zehennägel meines Dads«, sagte Ruth. »Als Kind dachte ich immer, seine Zehennägel seien eine Folge der brutalen Behandlung oder Unterernährung in Auschwitz.«
»Auschwitz ist nicht an allem schuld. Wollen wir am Freitag zusammen essen gehen?« sagte Sonia.
»Sehr gerne«, sagte Ruth. »Ohne Garth fühle ich mich ein bißchen traurig und einsam.«
»Ich wäre froh, wenn Michael eine Zeitlang nicht da wäre«, sagte Sonia.
»Vielleicht würdest du das anders sehen, wenn es so wäre«, sagte Ruth.
»Vielleicht«, sagte Sonia.
»Laß uns halb acht bei Vang in der Varrick Street sagen«, sagte Sonia.
Ruth kam zu früh. Vang gehörte zu den verhältnismäßig kostspieligen Restaurants, die auf eine uninspiriert austauschbare Weise teuer eingerichtet waren, von der Beleuchtung über die Tische und Stühle bis zu Porzellan, Besteck und Gläsern. Nichts an dem Restaurant war auffällig oder störend. Und nichts war anziehend. Ruth hängte ihre Jackeüber den Stuhl, legte ein paar Papiere auf den Tisch und ging auf die Toilette.
Sie wollte gerade eine der Kabinen betreten, als die Klofrau, eine Frau Mitte fünfzig, hinter ihr herkam und sie ansprach. »Nicht diese Kabine, Miss«, sagte sie.
»Oh«, sagte Ruth. »Warum nicht? Zu dreckig?«
»Ja«, sagte die Klofrau.
Ruth benutzte eine andere Kabine. Sie wusch sich gerade die Hände, als die Klofrau zurückkam.
»Was ist bloß mit den Frauen los?« sagte Ruth. »Sie machen viel mehr Dreck als Männer, oder?«
»Frauen machen viel mehr Dreck und Sauerei«, sagte die Klofrau. »Frauen sind Schweine. Sie pinkeln auf die Klobrillen und auf den Boden, werfen ihre Tampons in die Toilette, verschmieren die Klobrillen mit Blut und ziehen nicht ab.«
Ruth hatte sich oft darüber gewundert, wie schmutzig, wie ekelerregend so viele öffentliche Damentoiletten waren. Frauen wollten immer sauber, gutgekleidet, gepflegt und manierlich erscheinen. Und doch schienen sie auf öffentlichen Toiletten nicht die geringste Rücksicht auf andere zu nehmen, sondern einem primitiven Bedürfnis nachzugehen, den Inhalt ihrer Därme, Blasen und Eierstöcke überall zu verteilen.
»Am schlimmsten ist es, wenn sie in das Waschbecken kotzen«, sagte die Klofrau.
Ruth wünschte, sie hätte dieses Gespräch nicht angefangen. »Es war nett, sich mit Ihnen zu unterhalten«, sagte sie und ging hinaus.
Sonia wartete am Tisch, als Ruth zurückkam. Sonia wirkte aufgeregt. Ganz aus dem Häuschen.
»Hallo«, sagte Ruth und gab Sonia einen Kuß. »Was ist los?«
»Ich hatte so einen beschissenen Tag im Büro«, sagte Sonia. »Er fing schlimm an und wurde immer schlimmer. Stattder üblichen hundertzwanzig oder hundertfünfzig E-Mails hatte ich fast dreihundert in meinem Computer. Und daneben eine Handvoll Faxe. Faxe haben als Deadline meistens gestern. Alles muß auf der Stelle getan oder weitergeleitet werden. Es war ein wahres Glück, daß ich so früh im Büro war.«
»Warum bekommst du so viele E-Mails?« fragte Ruth.
»Weil das Urheberrecht so viele vertrackte Fälle mit eiligen Terminen mit sich bringt«, sagte Sonia. »Man hat mit so vielen verschiedenen Patenten und Firmenmarken und Copyright-Problemen zu tun. Wenn man auf Prozesse spezialisiert ist, arbeitet man wahrscheinlich einen ganzen Tag lang an einem
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